Hunderte Menschen stehen Schlange, die Kinder um sie herum, sogar die Polizei muss einschreiten. Manche Eltern schreiben besonders aufwendige Bewerbungen für ihr Kind und das alles nur, um möglichst rechtzeitig einen geeigneten Kitaplatz in der wachsenden Stadt Leipzig zu erhalten. Es herrscht großer Mangel an Betreuungsplätzen sowie zuständigem Personal. Die Verwaltung war auf diesen Ansturm an verzweifelten Eltern angeblich nicht vorbereitet. Jetzt klagen immer mehr Eltern gegen die Stadt, schließlich haben sie einen Rechtsanspruch auf Betreuung ihrer Kinder. Doch stimmt das wirklich?
Als sie die Zusage der Kindertagesstätte in ihren Händen hält, kann sie endlich wieder durchatmen. Maria Naumann, die ihren echten Namen nicht nennen will, kennt es, hart um einen Krippen- bzw. Kitaplatz in der aufstrebenden Stadt Leipzig zu kämpfen. Ihre Tochter Hannah ist nun 13 Monate alt und hat, nach über einem Jahr Suche, einen Betreuungsplatz erhalten.
„Glücklicherweise haben wir jetzt wirklich einen Platz, der für uns günstig ist, um problemlos zur Arbeit zu kommen. Trotzdem hatten wir Glück, weil wir dort jemanden kannten“, sagt Maria. „Anderen Eltern geht das nicht so.“
Auch sie hatte eine schwere Zeit bis noch vor zwei Wochen. Sogar nach fast einem Jahr war kein Kitaplatz in Aussicht, der nicht entweder 20 Kilometer in die entgegengesetzte Richtung liegt oder nicht den gesetzlich geregelten Standards entspricht. Maria wollte wieder arbeiten gehen, doch es ging ihr wie vielen Eltern in Leipzig – ein Kitaplatz ist nicht in Sicht.
Das Problem ist nicht neu
Eigentlich ist die Entwicklung in Leipzig sehr erfreulich, die Stadt verzeichnet steigende Bevölkerungszahlen, vor allem durch den Zuzug. Laut der LVZ erwartet Leipzig einen zunehmenden Bevölkerungswachstum. Knapp 580.000 Menschen hatten zum Jahresende 2016 ihren Hauptwohnsitz in der sächsischen Metropole, ein Jahr zuvor waren es noch etwa 11.800 Menschen weniger. Die Geburtenzahlen stiegen innerhalb dieses Zeitraums von gut 6.600 auf knapp 6.900 – die höchste Zahl seit 1990. Die Stadt wurde jünger, doch auf das Problem, dass damit auch mehr Kinderbetreuungseinrichtungen zur Verfügung gestellt werden müssen, wurde anscheinend niemand rechtzeitig aufmerksam.
Seit dem 1. August 2013 besteht für Kinder ab dem vollendeten ersten Lebensjahr ein Rechtsanspruch auf einen Betreuungsplatz. Doch bei weitem nicht alle Eltern können diesen bisher rechtzeitig einfordern. Die Leipziger Kita-Initiative gab hierzu ein klares Urteil an MDR Aktuell – die Stadt Leipzig hat das Thema schlichtweg verschlafen. Gegenüber MDR Aktuell äußert die Stadt, dass der Bedarf nicht planbar gewesen sei. Eine Mutter trage ihr Kind neun Monate im Bauch bis es zur Entbindung kommt, jedoch eine neue Krippe zu bauen dauere zwei Jahre, erzählt Oberbürgermeister Burkhard Jung. Im MDR-Interview erklärt Victoria Jankowicz von der Leipziger Kita-Initiative, dass sie die Stadt Leipzig trotzdem in der Verantwortung sieht.
„Ich würde sagen, dass das Thema verschlafen wurde. Man hätte das eher angehen müssen. Man hat erst reagiert, als es den Rechtsanspruch gab, also als Druck von oben kam. Es ist paradox. Einerseits wird Leipzig immer hoch gelobt und dann nicht damit gerechnet, dass viele Leute herziehen wollen.“
Die Eltern wissen nicht mehr weiter, denn die Kitaplätze sind sehr begrenzt. Foto: Franziska Hellriegel
Demonstrationen, Beschwerden und Klagen
Bereits im August 2013 demonstrierten die Initiative sowie zahlreiche Eltern in Leipzig, um auf den Mangel an Plätzen und des Personals aufmerksam zu machen. Doch viel hat sich bis zum Jahr 2018 anscheinend nicht getan, schildert die Fachanwältin für Verwaltungsrecht Dr. Susanne Pohle in einem Interview.
„Das Problem ist, dass die Eltern, die einen Kitaplatz suchen, zu einem großen Teil von der Stadt im Regen stehen gelassen werden, weil eben keine Plätze da sind. Das heißt, die Stadt macht letztlich nur eine Mangelverwaltung“, sagt die Rechtsanwältin.
Immer noch fehlen im Landkreis Leipzig akut Plätze in Kinderbetreuungseinrichtungen wie Krippen, Kitas oder Horten, schreibt die Leipziger Volkszeitung. Mittlerweile musste sich der Landkreis sogar in fünf Fällen vor Gericht verantworten. Hätte die Stadt nicht in den ganzen Jahren von der Einführung des Rechtsanspruchs 2013 bis jetzt zum Jahr 2018 aktiv etwas für den Mangel tun können? Susanne Pohle hat das Rechtsfeld über 20 Jahre untersucht und mitverfolgt. „Interessant ist, dass jetzt der Bedarf anscheinend noch höher ist als der Bedarf im Jahr 2013.“ Trotz des Versäumnisses der Stadt gibt es Alternativen für Eltern, Kitaplätze zu finden.
Möglichkeiten einen Kitaplatz zu bekommen
Grundsätzlich verweist die Stadt Leipzig stets auf das Elternportal. Man solle nicht bei den Kitas anrufen, da hierüber kein Auswahlverfahren möglich ist. Seit mehr als zwei Jahren soll das Internetportal meinkitaplatz-leipzig.de Eltern auf der Suche nach einem geeigneten, zustehenden Kitaplatz helfen, schreibt MDR Sachsen in einem Beitrag. Doch hier weichen Theorie und Praxis deutlich voneinander ab.
Auch für Maria und ihren Mann war die Suche nach einem Kitaplatz lange ein schwieriges Thema. Zum Ende ihrer Schwangerschaft hat sie angefangen, Kitaeinrichtungen zu kontaktieren, wobei sie stets die Antwort erhielt, man könne sich vor der Geburt nicht bewerben. „Nach der Geburt des Kindes bekommst du eine Registrierungsnummer und nur damit kannst du dein Kind dann in diesem Elternportal anmelden. Ab dort beginnt dann eigentlich die Suche“, erklärt sie. „Man meldet sich dort an, gibt anschließend die Daten des Kindes an, sowie wann man den Betreuungsplatz braucht und wie viele Stunden täglich.“
Nur fünf Kitastellen sind auszuwählen, erzählt sie weiter. Wenn Eltern hier allerdings abgelehnt wurden, bekommen sie häufig keine direkte Benachrichtigung. Im Gegenteil, der Status bleibt die gesamte Zeit „in Bearbeitung“. Die taz befragte in diesem Zusammenhang den zuständigen Sozialbürgermeister Thomas Fabian, der zusammenfasst, dass das System so lange nicht funktioniere, bis es keinen Mangel an Betreuungsplätzen mehr gäbe. Erst dann seien alle Träger dazu gezwungen, freie Plätze sowie den Status der Bewerbung in dem Portal zu aktualisieren.
Schließlich hatte Maria Naumann noch einmal Glück: „Bei uns haben wir dann rechtzeitig von einer Nachbarin, die auch ein kleines Kind hat, erfahren, dass sie einen Platz bei einem privaten Träger bekommen hat. Da diese nicht mit dem Portal arbeiten, kann man dort nur persönlich hingehen.“ Nachdem Maria und ihr Mann sich persönlich bei dem Kindergarten meldeten, hörten sie über mehrere Wochen nichts. Die Angst, schon wieder eine ernüchternde Absage zu erhalten, stieg deutlich an. Doch dann, nach langer Zeit des Wartens, erhielten sie schließlich doch noch eine Zusage für ihre Tochter. Erleichterung machte sich breit, sagte sie uns, denn so können sie und ihr Mann wieder arbeiten gehen und die junge Familie versorgen.
Alternativen zum Kitaplatz
Wenn trotz Elternportal sowie Eigeninitiative bei privaten Trägern immer noch kein Platz in Aussicht ist, gibt es hierfür auch einige Alternativen zur Kinderbetreuung. Die Internetseite Kita.de bietet umfangreiches Wissen zur frühzeitigen Betreuung von Kindern, so zeigen sie verschiedene Ausweichlösungen zur herkömmlichen Kita.
Eine immer noch häufig in Anspruch genommene Form ist die Tagesmutter bzw. der Tagesvater. Die Kindertagespflege kann im Vergleich zur Kita bei einer Tagespflegeperson durchaus individueller, familiärer und flexibler sein, da die Größe einer betreuten Gruppe maximal fünf Kinder beträgt. Wo die Betreuung stattfindet, ist unterschiedlich: Manchmal im Haushalt der eigenen Eltern oder beispielsweise in dem der Pflegeperson.
Jedoch ist es nicht leicht, eine qualifizierte Person für diesen Job zu finden, wobei Jugendämter bei dieser Vermittlung helfen können, schreibt t-online in einem Beitrag. Zwei weitere Optionen sind zum Beispiel eine Nanny oder sogenannte „Ersatzgroßeltern“, auch hier gibt es Vor- und Nachteile, da diese Optionen sich preislich deutlich von herkömmlichen Kita-Einrichtungen unterscheiden können. Trotzdem könnte dies eine vorübergehende Lösung sein.
Wenn nichts hilft – Klage einreichen
Der Anspruch auf Kinderbetreuung in Deutschland ist unabhängig von den persönlichen Umständen der Eltern. Wenn die zuständige Stadt dem Rechtsanspruch nicht nachkommt, können Eltern den Platz des Kindes einklagen oder Kosten geltend machen, so der MDR. Viele Eltern ziehen vor Gericht, um ihren Anspruch einzufordern, wenn die Stadt diesen nicht einhalten kann. MDR Aktuell veröffentlicht in einem Bericht, dass allein in der Stadt Leipzig im Jahr 2017 rund 400 Klagen eingereicht worden seien.
Rechtsanwältin Susanne Pohle gibt Einblicke in die Praxis und erläutert, dass mehr Menschen den Schritt wagen sollten. „Viele sind informiert, aber viele trauen sich auch nicht, weil sie denken ‚mein Gott, was passiert dann?‘ und das ist schade, weil die Verfahren, wenn man sie richtig angeht und zeitnah gehandelt wird, alle gewonnen werden können.“ Eine durchaus positive Diagnose der Fachanwältin. Viele Eltern blicken hoffnungsvoll in die Zukunft und wünschen sich, dass die Situation in den nächsten Jahren besser wird. Susanne Pohle kann sich vorstellen, dass Ende 2019 aufgrund der vielen Bauprojekte in Leipzig die Problematik endlich geringer wird – letztlich werden wir abwarten müssen.
Text: Franziska Hellriegel; Foto: Franziska Hellriegel, Lydia Pappert