Studium

Armut als Preis von Bildung

von | 7. Februar 2025

Deutschen Studierenden geht es so schlecht wie noch nie. Aktuelle Zahlen und Studien zeigen, womit sie heutzutage zu kämpfen haben.

Es heißt, dass die Studienzeit die beste Zeit im Leben eines jungen Menschen ist. Das typische Studentenleben wird mit viel Freizeit, Spaß und WG-Partys assoziiert. Jedoch ist das für viele nicht die Realität. Steigende Lebenshaltungskosten und fehlende Unterstützung sorgen für finanzielle Unsicherheit. Über ein Drittel der deutschen Studierenden sind akut armutsgefährdet.

In Deutschland gilt eine Person als armutsgefährdet, wenn sie weniger als 60 Prozent des mittleren Nettoäquivalenzeinkommens (Einkommensdurchschnitt) der Bevölkerung zur Verfügung hat. Das bedeutet, dass sie mit weniger Geld auskommen muss als die meisten anderen Menschen im Land. Im Jahr 2023 lag dieser Schwellenwert für eine alleinlebende Person bei 1.314 Euro netto im Monat. Dieses Einkommen erreichen jedoch die wenigsten Studierenden. In einer Pressemitteilung vom 28. August 2024 veröffentlichte das Statistische Bundesamt, dass die Hälfte der Studierenden mit einem eigenen Haushalt über ein monatliches Nettoäquivalenzeinkommen von weniger als 867 Euro verfügt. Laut dem Deutschen Studierendenwerk benötigen Studierende jedoch mindestens 970 Euro, um ihre monatlichen Ausgaben zu finanzieren. Diese sind allerdings individuell und abhängig von verschiedenen Faktoren, wie zum Beispiel: Alter, Studienrichtung, Wohnort und die Art des Wohnens. 

Grafik: Johanna Gerstenberg, Quelle: Deutsches Studierendenwerk

Eine vom Armutsrisiko betroffene Studentin ist Vanessa. Sie ist 23 Jahre alt und studiert im fünften Semester Medienmanagement. Ihre monatlichen Ausgaben belaufen sich im Schnitt auf 915 Euro. Durch BAföG und ihr Kindergeld hat sie ein monatliches Einkommen von rund 1.000 Euro zur Verfügung.
Trotzdem ist auch sie von finanziellen Schwierigkeiten betroffen, wie viele der Studierenden in Deutschland. 

Die Ursachen der finanziellen Schwierigkeiten von Studierenden können ganz verschieden sein. Steigende Kosten für Lebensmittel, Energie und Miete, unzureichende staatliche Unterstützung und unterschiedliche gesellschaftliche – oder familiäre Hintergründe erschweren das Leben von Studierenden. 

Boom der Lebenshaltungskosten

Seit mehreren Jahren steigen die Kosten für Wohnen, Lebensmittel, Energie und Verkehr. Das trifft vor allem Studierende hart. Heute geben Studierende, die alleine oder mit anderen Studierenden oder Auszubildenden zusammenleben, mehr als die Hälfte ihres Einkommens für ihre Miete aus. Aus den Zahlen des Statistischen Bundesamtes geht hervor, dass 61 Prozent der Studierenden in Deutschland mit ihren Wohnkosten überlastet sind.

Grafik: Johanna Gerstenberg, Quelle: Statistisches Bundesamt

Matthias Anbuhl ist Vorstandsvorsitzender des Deutschen Studierendenwerks. Auch er sieht die hohen Miet- und Lebensmittelkosten als Knackpunkt finanzieller Schwierigkeiten von Studierenden. „In den letzten Jahren sind die Mieten in den Hochschulstädten und die Kosten für Lebensmittel stark gestiegen. Die Studierenden haben kaum Möglichkeiten, darauf zu reagieren.“ Gegenüber dem mdr schilderte zudem Armutsforscher Christoph Butterwegge, dass die Armutsrisikoquote sowohl für Studierende als auch für die gesamte Bevölkerung in den vergangenen Jahren angestiegen sei. Auslöser dafür seien: die Covid-19-Pandemie, die durch den Ukraine-Krieg ausgelöste Energiepreisexplosion und die Inflation.

Bürokratiemonster BAföG

Für einige ist das Bundesausbildungsförderungsgesetz (BAföG) eine finanzielle Stütze, so auch für Vanessa. Nicht alle Studierenden können auf finanzielle Unterstützung durch ihr Elternhaus zählen. Besonders Studierende aus einkommensschwachen Familien haben es schwer. 

Jedoch erreicht BAföG nur einen kleinen Teil der deutschen Studierenden. Strenge Einkommensgrenzen, ein langwieriger Antragsprozess, die Schuldenfrage und die Unsicherheit, ob man überhaupt gefördert wird, schreckt viele Studierende überhaupt von der Beantragung des BAföG ab. Insgesamt erhielten 501.400 Studierende im Jahr 2023 eine BAföG-Förderung. Zu dieser Zeit waren allerdings rund 2,9 Millionen Studierende an deutschen Hochschulen immatrikuliert. Demnach wurden nur circa 17 Prozent durch BAföG gefördert. Durchschnittlich erhielten die BAföG-Empfänger*innen 663 Euro im Monat.

Das 29. BAföG-Änderungsgesetz, welches zu Beginn des Wintersemesters 2024/2025 in Kraft trat, soll die bisherigen BAföG-Leistungen verbessern. Die Wohnkostenpauschale für alleinlebende Studierende wurde von 360 Euro auf 380 Euro erhöht. Der Förderungshöchstbetrag steigt von 934 Euro auf 992 Euro. Laut Matthias Anbuhl sei das jedoch noch nicht genug. Die Tagesschau schrieb dazu: „Die Sätze für Unterhalt und Wohnkostenpauschale seien weiterhin zu niedrig und außerdem müssten viel mehr Studierende von der Förderung profitieren können. Dafür brauche es eine massive Erhöhung der Elternfreibeträge. In einer Strukturreform müssten Freibeträge und Bedarfssätze an die Entwicklung von Preisen und Einkommen gekoppelt werden.“

Seit Studienbeginn bezieht Vanessa BAföG. Bisher hat sie noch nie Probleme mit dem System oder ihren Anträgen gehabt. Ende Juni 2024 hat sie ihren Folgeantrag für die Verlängerung ihrer Förderung gestellt. Seitdem passiert jedoch gar nichts mehr. „Seit August bekomme ich schon kein Geld mehr. Es heißt die ganze Zeit, mein Beitrag sei in Bearbeitung.“ Fehlende Unterlagen habe sie sofort nachgereicht, berichtet sie. „Mehrfach musste ich Unterlagen nachreichen, das habe ich aber immer schnellstmöglich erledigt. Ein Dokument musste ich sogar dreimal nachreichen, da immer irgendetwas nicht gepasst hat. Seit über zwei Monaten warte ich nun schon auf eine Rückmeldung, ob mein Antrag nun bewilligt wird oder nicht.“

Vanessa verdeutlicht, dass sie in den letzten vier Monaten nun noch eingeschränkter leben musste wie bereits zuvor. „Es fängt bei Lebensmitteln an und hört bei Aktivitäten mit Freunden auf. Ich überlege mir jetzt zweimal, ob ich mir die nicht reduzierten Lebensmittel im Supermarkt leisten oder mit meiner besten Freundin einen Kaffee trinken gehen kann.“

Was macht diese finanzielle Not mit jungen Menschen?

Zum einen können finanzielle Sorgen erhebliche psychische Belastungen verursachen. Der „TK-Gesundheitsreport 2023“ der Techniker Krankenkasse (TK) untersucht die Frage: „Wie geht‘s Deutschlands Studierenden?“. Im Rahmen einer repräsentativen Stichprobe wurden 1.000 ausgewählte Studierende in Deutschland zu Gesundheitsthemen befragt. Prof. Dr. Bertolt Meyer, Professor für Arbeits-, Organisations- und Wirtschaftspsychologie an der Technischen Universität Chemnitz, wertete die Daten und Ergebnisse des Gesundheitsreports aus. Die Studie habe vor allem gezeigt, dass die psychische Belastung der Studierenden über die Jahre erheblich zugenommen und sich der allgemeine gesundheitliche Zustand deutlich verschlechtert habe. „Die Burn-out-Rate der Studierenden entspricht im Jahr 2023 nun der der Gesamtbevölkerung.“ Dabei seien besonders häufig Frauen betroffen. 

Grafik: Johanna Gerstenberg, Quelle: TK-Gesundheitsreport 2023

Grafik: Johanna Gerstenberg, Quelle: TK-Gesundheitsreport 2023

Eine deutliche Stresszunahme sei eine weitere besorgniserregende Entwicklung, die dem Gesundheitsreport zu entnehmen ist. 68 Prozent der befragten Studierenden gaben an, dass sie unter stressbedingter Erschöpfung leiden. 2015 lag dieser Wert bei 44 Prozent. Zudem hat sich der Anteil Studierender, die sich häufig gestresst fühlen, beinahe verdoppelt. Gaben 2015 noch 23 Prozent der Befragten an, sich häufig gestresst zu fühlen, waren es im Jahr 2023 bereits 44 Prozent. „Von dieser Stresszunahme sind Studenten und Studentinnen gleichermaßen betroffen: Bei den Frauen stieg der Stress im Vergleich zu 2015 um signifikante 21 Prozentpunkte, bei den Männern um signifikante 20 Prozentpunkte.“ 

Grafik: Johanna Gerstenberg, Quelle: TK-Gesundheitsreport 2023

Grafik: Johanna Gerstenberg, Quelle: TK-Gesundheitsreport 2023

Zu den Hauptbelastungsfaktoren der Studentinnen und Studenten gehören der Studie zufolge auf dem zweiten Platz, die Mehrfachbelastung durch Studium und den Job nebenbei mit 33 Prozent. An fünfter Stelle stehen finanzielle Sorgen mit 23 Prozent.

Grafik: Johanna Gerstenberg, Quelle: TK-Gesundheitsreport 2023

Die psychischen Probleme, die durch finanziellen Druck entstehen, können jedoch auch negative Konsequenzen für die Studienleistung und damit den Studienerfolg einer Person bedeuten. Wie bereits dargestellt, gaben 33 Prozent der befragten Studierenden an, durch ihre Arbeit während des Studiums belastet zu sein. Studierende, die viel arbeiten müssen, haben weniger Zeit für Vorlesungen, Übungen und das Lernen für Prüfungen. 

Das Studium und der zusätzliche finanzielle Druck haben sich auch auf die psychische Gesundheit von Vanessa ausgewirkt. „Ich bin auf plötzliche hohe Ausgaben nicht vorbereitet. Diese Angst, dass jederzeit etwas passieren könnte, ist immer im Hinterkopf. Auch das tägliche Abwägen, ob ich nun Geld für etwas ausgebe oder nicht, ist sehr ermüdend. Ich möchte mir nicht ständig Gedanken ums Geld machen müssen. Ich sollte mich vollkommen auf mein Studium konzentrieren können, ohne in dieser ständigen Angst leben zu müssen.“

Geldnot schränkt deutsche Studierende auch in ihrer Freizeitgestaltung stark ein. Vanessa erklärt, dass ihr ganz oft der Ausgleich zum täglichen Unistress fehle. „Ich gehe super gerne schwimmen, kann es mir aber finanziell nicht leisten, drei oder viermal die Woche zu gehen. Deshalb gehe ich vielleicht nur aller zwei Wochen mal ins Schwimmbad.“ Oft fühlt sie sich auch ausgeschlossen, wenn sie nicht jedes Wochenende mit ihren Freunden essen, feiern oder in Bars gehen kann.

Zeit für Veränderungen

Franziska Pfoh erläuterte 2022 in ihrem medienMITTWEIDA Artikel: „Wird ein Studium nun zum noch größeren Luxusgut?“, dass ohne einen Nebenjob, die finanzielle Unterstützung durch die Eltern oder BAföG ein Studium für viele nicht mehr realisierbar sei. Gerade das sollte nicht die Realität von Studierenden werden. Jeder Mensch hat das „Recht auf Bildung“, so besagt es Artikel 14 der Grundrechte der Europäischen Union.  

Mögliche Verbesserungsansätze könnten eine Reform des BAföGs, ein Bildungsgrundeinkommen oder der Ausbau von bezahlbarem Wohnraum vor allem in teureren Städten wie München oder Hamburg sein. Auch Vanessa wünscht sich Veränderungen in der Beantragung des BAföGs. „Dieser ganze Bürokratieaufwand ist enorm. Studierenden sollte die Antragsstellung viel einfacher gemacht werden – gerade, wenn man keine intakte Familie hat und nicht so einfach an die Informationen eines Elternteils herankommt.“

Wichtig ist: Niemand ist mit diesen finanziellen Problemen alleine. Bei Problemen und Fragen sollten Studierende keine Angst haben, sich Hilfe zu suchen. In Mittweida ist dabei die Sozialkontaktstelle der Hochschule eine erste Anlaufstelle. Auch das zuständige Studierendenwerk Freiberg bietet Unterstützung – ganz gleich, ob es sich um Studienorganisation, finanzielle Schwierigkeiten oder psychische Belastungen handelt.

Kurzkommentar der Autorin

Ein Armutszeugnis für Deutschland

Die finanzielle Notlage vieler Studierender in Deutschland zeigt, wie stark das aktuelle Bildungssystem an seine Grenzen stößt. Ein Studium sollte für junge Menschen nicht den Preis von Armut, Stress und psychischen Belastungen bedeuten. Stattdessen braucht es dringend umfassende Veränderungen, um den Studierenden eine sichere und sorgenfreie Studienzeit zu gewährleisten. Ein Studium sollte nicht zum Luxusgut werden.

Besonders die unzureichende Höhe des BAföG und seine Bürokratiehürde, steigende Miet- und Lebenshaltungskosten sowie schwierige Beschäftigungsverhältnisse zwingen viele Studierende in die finanzielle Unsicherheit. Dabei ist Bildung ein Grundrecht und sollte kein Privileg sein, das nur denen offensteht, die es sich leisten können. Es braucht daher eine Reform des BAföG, die sich an den realen Lebenshaltungskosten eines jungen Menschen orientiert, sowie mehr bezahlbaren Wohnraum für Studierende.

Es muss sich jetzt etwas verändern, denn die Zukunft Deutschlands hängt maßgeblich von einer gesunden und gut ausgebildeten jungen Generation ab. Wenn der Staat jetzt nicht handelt, riskiert er, dass immer mehr junge Menschen ihr Studium abbrechen oder gar nicht erst antreten – mit langfristig negativen Folgen für unsere Gesellschaft und Wirtschaft.

Text, Titelbild und Grafiken: Johanna Gerstenberg

<h3>Johanna Gerstenberg</h3>

Johanna Gerstenberg

ist 22 Jahre alt und studiert derzeit im 5. Semester Medienmanagement an der Hochschule Mittweida. Bei medienMITTWEIDA engagiert sie sich als Chefredakteurin seit dem Sommersemester 2024.