Couchkritik

Made in Germany

von | 12. Juli 2024

Wie gut sind deutsche Serien wirklich? Hier erfahrt ihr, ob sich die drei Mini-Serien der Juli-Edition lohnen.

Richtig gute Serien kommen doch nur aus den USA? Würde man die deutsche Bevölkerung befragen, dann dürfte wohl der Großteil dies bestätigen. Deutsche Filme und Serien genießen oft nicht den besten Ruf. Doch das Blatt wendet sich – im Zeitalter des Streamings feiern immer mehr deutsche Serien weltweite Erfolge und erhalten lobende Kritiken. Sie beweisen, dass sie in den letzten Jahren mit den US-Serien mithalten können. In der Juli-Edition stelle ich euch deshalb drei deutsche Mini-Serien vor. Den Anfang macht „Unorthodox“, ein Drama über die Flucht aus religiösen Zwängen und den Weg zur Selbstbestimmung. Weiter geht es mit „Liebes Kind“, einem fesselnden Psychothriller, der für spannende Momente sorgt. Und abschließend „Deutsches Haus“, ein Historiendrama, das Geschichte lebendig werden lässt. Also, schnappt euch eine Tüte Popcorn und lasst uns eintauchen in die Welt der deutschen Serien!

Unorthodox

Esther „Esty“ Shapiro (Shira Haas), eine 19-Jährige junge Frau, wächst in einer ultraorthodoxen jüdischen Gemeinde im New Yorker Stadtteil Williamsburg auf. Ein Leben, dessen einziges Ziel darin besteht, eine Familie zu gründen und den Ehemann zu ehren. Esty versucht, aus der abgeschotteten Welt und arrangierten Ehe, die zu ihrem Gefängnis geworden war, zu entfliehen, um ein freies und selbstbestimmtes Leben zu führen. Sie wagt einen Neuanfang in Berlin. Mit ihrer Leidenschaft für Musik sucht Esty Zuflucht im Konservatorium der Philharmonie. Doch ihre Vergangenheit holt sie ein.

Unorthodox“ ist eine Mini-Serie, die auf dem gleichnamigen Roman von Deborah Feldmanns Autobiografie basiert und im März 2020 als Netflix-Original veröffentlicht wurde. Die Serie ist ab zwölf Jahren freigegeben. In vier Episoden mit einer Länge von jeweils 53 bis 55 Minuten erzählt „Unorthodox“ , wie die junge Frau auf der Suche nach einem selbstbestimmten Leben ist. Jenseits aller religiösen Zwänge sucht sie Zuflucht in dem ihr unbekannten Berlin mit der gleichzeitigen Frage nach ihrer Identität. Regie führte Maria Schrader, bekannt durch die Filme „She Said“ und „Ich bin dein Mensch“.

„Gott hat zu viel von mir erwartet. Nun muss ich meinen eigenen Weg finden.“

Die Geschichte von „Unorthodox“ wird in zwei parallelen Handlungssträngen, auf unterschiedlichen Zeitebenen erzählt. Einerseits sehen wir Estys Vergangenheit in ihrer streng ultraorthodoxen Gemeinde und erfahren, wie es zu der Flucht kam. Andererseits erleben wir ihre neu gewonnene Freiheit in Berlin. Die Rückblenden in ihre Vergangenheit und ihre gegenwärtigen Erlebnisse in Berlin verdeutlichen diese beiden Welten. Die Gegenüberstellung des bunten, weltoffenen Berlins verstärkt Estys inneren Konflikt und ihre Suche nach einer neuen Identität. Dieser Kontrast zieht sich durch alle vier Folgen. Figuren wie Moishe (Jeff Wilbusch) und Yanky (Amit Rahavverkörpern das strenge Festhalten an Regeln, während die Gruppe von Musikern, die Esty in Berlin trifft, für die Freiheit und multikulturelle Offenheit steht. Auch die visuelle Gestaltung der Serie spiegelt diesen Kontrast wider – von der religiösen Kleidung, Kopfbedeckungen und Perücken in Williamsburg bis hin zur farbenfrohen und vielfältigen Kleidung in Berlin.

Die Mini-Serie thematisiert auch die deutsch-jüdische Vergangenheit und den Holocaust, da diese Themen eine größere Rolle in der Gemeinschaft in Williamsburg spielen. Eine eindrucksvolle Szene zeigt Esty mit ihren neuen Freunden aus Berlin am Wannsee. Zunächst zögernd geht sie schließlich ins Wasser, nimmt ihre Perücke ab und lässt sie treiben – mit Blick auf das Haus der Wannsee-Konferenz, wo 1942 der Holocaust beschlossen wurde. Ihr Moment der Befreiung findet genau dort statt, wo einst die größte Unfreiheit beschlossen wurde.

„Eine jüdische Geschichte soll von Juden gespielt werden“ – das war das Motto des Filmteams hinter „Unorthodox“. Dieser Ansatz verleiht der Serie eine besondere Authentizität, da jüdische Figuren in deutschen Filmen bisher fast immer von nichtjüdischen Deutschen dargestellt wurden. Daher wurden alle Rollen der ultraorthodoxen Gemeinschaft bewusst mit jüdischen Schauspieler besetzt. Gedreht wurde vor allem in Jiddisch und Englisch. Auch wenn man als deutscher Zuschauer meint, einiges verstehen zu können, ist das Mitlesen der Untertitel notwendig. Doch man gewöhnt sich schnell daran. Die Szenen, die in Berlin spielen, sind natürlich auf Deutsch. Shira Haas liefert eine herausragende schauspielerische Leistung. Ihre Darstellung der jungen Esty, die zwischen den Erwartungen ihrer Gemeinschaft und ihrem eigenen Wunsch nach Freiheit hin- und hergerissen ist, schafft es, die innere Zerrissenheit und den Mut ihrer Figur eindrucksvoll zum Ausdruck zu bringen. Etwas Straffung hätte am Anfang der Serie gut getan. Schwung bekommt „Unorthodox“ erst ab der Hälfte mit emotionalen Momenten. Trotzdem ist es für alle, die dieses Genre mögen, sehenswert!

Jiddisch

Jiddisch entstand im Mittelalter in den jüdischen Gemeinden Deutschlands und ist eine Mischung aus Mittelhochdeutsch, Hebräisch und osteuropäischen Sprachen. Weltweit gibt es zwischen einer halben und einer Million  Jiddisch-Sprechenden Personen, vorwiegend streng orthodoxe Juden, hauptsächlich in den Vereinigten Staaten, Kanada, Europa und Israel.

Liebes Kind 

Lena (Kim Riedle) und ihre beiden Kinder Jonathan (Sammy Schrein) und Hannah (Naila Schuberth) leben in Gefangenschaft in einem stark gesicherten und isolierten Haus eines Mannes – Mahlzeiten, Toilettengänge und Schlafzeiten folgen einem strikten Tagesablauf. Sobald er das Zimmer betritt, eilen die drei herbei und stellen sich mit ausgestreckten Händen in einer Reihe vor die Tür. Sie gehorchen ihm bedingungslos. Der Psychoterror endet schließlich, als Lena mit der kleinen Hannah fliehen kann. Doch es scheint, als könnten sie ihrem Peiniger nicht entkommen.

Der Psychothriller „Liebes Kind“, basierend auf dem gleichnamigen Roman von Romy Hausmann, wurde im September 2023 als Netflix-Original veröffentlicht. In sechs Episoden, jeweils 46 bis 51 Minuten lang, erzählt die Serie die Geschichte eines Martyriums, dessen Grauen sich erst rückblickend offenbart. Regie führten dabei Isabel Kleefeld und Julian Pörksen.

„Ich habe mir alles genau gemerkt. Ich mache alles richtig. Ich bin ein großes Mädchen.“

Die Geschichte von „Liebes Kind“ wird in zwei parallelen Handlungssträngen, auf unterschiedlichen Zeitebenen erzählt. Einerseits sehen wir in den Rückblenden die Gefangenschaft mit den strikten Tagesabläufen. Andererseits erleben wir in der Gegenwart die Flucht von Lena und Hannah. Die Mini-Serie erinnert stark an den Film „Room“ aus dem Jahr 2015. Wo „Room“ aufhört, fängt „Liebes Kind“ gerade erst an. Es beginnt mit der Flucht von Lena und Hannah aus einem abgelegenen, gesicherten Haus. Lena wird von einem Auto erfasst und  kommt schwer verletzt mit Hannah ins Krankenhaus. Dort entfaltet sich nach und nach das wahre Ausmaß ihres Albtraums. Doch die geflohene Frau scheint nicht die Lena zu sein, die ihre Eltern seit 13 Jahren vermissen.

„Liebes Kind“ ist keine typische Krimiserie, auch wenn die Ermittlungen eine bedeutende Rolle spielen. Im Vordergrund stehen jedoch die Elemente des düsteren Psychothrillers. Ein wesentlicher Stimmungsfaktor in „Liebes Kind“ ist die Musik, die zusammen mit den oft experimentellen Kameraeinstellungen für eine ständige Verunsicherung des Zuschauers sorgt. Die Serie verzichtet weitgehend auf Gewalt und blutige Szenen. Stattdessen entfaltet sich die eigentliche Geschichte im Kopf der Opfer.

Die größte Stärke der Serie ist Hannah. Sie wirkt in vielen Szenen unberechenbar, fast unheimlich, was den Nervenkitzel noch verstärkt. Ihre Antworten sind oft kryptisch und seltsam. So erzählt sie von angeblichen geheimen Ausflügen mit ihrer Mutter ans Meer oder zu ihrem Großvater, den sie sofort erkennt, obwohl sie ihm nie begegnet ist. Weder der Polizei, noch sonst jemandem gibt sie Details preis, stattdessen sagt sie: „Kann ich nicht sagen, wir dürfen doch nicht gefunden werden.“ Auch ihrem Bruder Jonathan flüstert sie ins Ohr: „Wenn du dich nicht bemühst, kannst du nicht mit nach Hause kommen, wenn Papa uns holt.“ Hannah ist mysteriös und jagt dem Zuschauer einen Schauer über den Rücken. Naila Schuberth bringt die innere Zerrissenheit des Mädchens auf beeindruckende Weise zum Ausdruck und verblüfft mit ihrer schauspielerischen Leistung.

„Liebes Kind“ startet äußerst spannend und wirft von Anfang an eine Vielzahl von Fragen und Rätsel auf. Wie kann Hannah beispielsweise erkennen, dass Matthias ihr Großvater ist, obwohl sie sich nie zuvor begegnet sind? Wer ist diese Frau, die Lena so verblüffend ähnlich sieht? Und wer ist der Mann, der die drei entführt hat und den Hannah „Papa“ nennt? Die erste Folge zieht daher viel Aufmerksamkeit und Neugierde auf sich. Leider lässt dieser starke Eindruck im Verlauf der Serie nach und der anfängliche Schwung geht etwas verloren. Dennoch dürften Psychothriller-Fans „Liebes Kind“ schätzen. 

Deutsches Haus 

Frankfurt am Main, 1963: Eva Bruhns (Katharina Stark), Tochter des Gastwirtes der Gaststätte „Deutsches Haus“, wird bei dem ersten Auschwitz-Prozess gegen SS-Offiziere in Frankfurt für Zeugenaussagen als Dolmetscherin für polnische Sprache angestellt. Eva nimmt diese Stelle an, obwohl sowohl ihre Eltern als auch ihr Verlobter, der Versandhauserbe Jürgen Schoormann (Thomas Prenn), mit allen Mitteln versuchen, sie davon abzuhalten – unwissend, wie der Prozess ihr Leben verändern wird. Erst während ihrer Arbeit beginnt sie, die Wahrheit über die deutschen Verbrechen während des Zweiten Weltkriegs aufzudecken, und ist entsetzt über alles, was sie entdeckt. Schnell wird ihr klar, dass dieser Prozess weit mehr mit ihr persönlich zu tun hat, als sie je hätte ahnen können.

„Deutsches Haus“ basiert auf dem gleichnamigen Roman von Annette Hess, die ebenfalls das Drehbuch zur Mini-Serie verfasste. Diese wurde im November 2023 als Disney-Original veröffentlicht und besteht aus fünf Episoden, die jeweils 56 bis 63 Minuten lang sind. Mit einer Altersfreigabe von FSK 12, thematisiert die Serie die Aufarbeitung der deutschen Verbrechen während des Zweiten Weltkriegs im Frankfurter Auschwitz-Prozess und holt die grausamen Taten der Nazis zurück ins Bewusstsein.

„Ich will, dass ihr mir jetzt die Wahrheit sagt!“

Die Geschichte der Auschwitz-Prozesse wird durch die Augen von Eva erzählt, die völlig unvorbereitet und ahnungslos in eine Welt eintaucht, von der sie zu Beginn nichts weiß – weder über die Verhandlungen noch über die Grausamkeiten der Täter. Ihre Unwissenheit wird deutlich, als sie beim ersten Kontakt mit dem Prozess Begriffe wie „Gäste“ statt „Häftlinge“, „Herberge“ statt „Block“ und „erleuchtet“ statt „vergast“ übersetzt. Eva erfährt, gemeinsam mit dem Zuschauer, nach und nach die Wahrheit über die deutschen Verbrechen während des Zweiten Weltkriegs. Diese Darstellung bietet dem Zuschauer einen einfachen Einstieg in ein doch komplexes und belastendes Thema.

 

Die größte Stärke der Serie liegt zweifellos in den Prozess-Szenen, die keine erfundenen Dialoge enthalten, sondern sich auf die Original-Prozessprotokolle von 1963 stützen. Die wortgetreue Übernahme der Zeugenaussagen verstärkt die Wirkung der ohnehin erschütternden Inhalte. Die Mini-Serie erzeugt starke emotionale Momente, wie etwa die eindringliche Verlesung der Anklagen im ersten Frankfurter Auschwitz-Prozess, die über mehrere Minuten gehen. Filmisch passiert nicht viel – keine Schnitte, keine Geräusche. Es ist mucksmäuschenstill. Denn der Inhalt steht für sich. Ebenso bewegend ist die Schweigeminute vor Ort in Auschwitz, die tatsächlich eine Minute lang anhält.

Eva entwickelt sich von einer anfangs naiven jungen Frau zu einer entschlossenen und starken Persönlichkeit – eine Figur, mit der sich die Zuschauer gern identifizieren. „Deutsches Haus“ beleuchtet das dunkelste Kapitel der deutschen Geschichte. Oft ist die Serie bedrückend, schockierend und unfassbar traurig. Besonders bewegend ist die Szene, in der die ehemalige KZ-Insassin Rachel Cohen (Iris Berben) nach ihrer Zeugenaussage ihre Wut gegenüber dem selbstgefälligen und siegessicheren Nazis rauslässt. 

 

Einzig die Vielzahl an Nebenhandlungen schwächt den ansonsten sehr guten Gesamteindruck. Man hätte gerne mehr über bestimmte Aspekte erfahren, da einige dieser Erzählstränge nicht bis zum Ende erzählt und vorzeitig abgebrochen werden. Mit insgesamt fünf Folgen bietet die Mini-Serie möglicherweise zu wenig Raum, um das Thema in seiner ganzen Tiefe zu erfassen. Ein oder zwei zusätzliche Folgen hätten geholfen, die Geschichte vollständiger zu erzählen. Obwohl das Thema der Nachkriegszeit und die Auswirkungen des NS-Regimes bereits häufig in Serien und Filmen behandelt wurden, überzeugt die dramaturgische Erzählweise von „Deutsches Haus“. Die Serie ist definitiv ein Muss für alle, die sich für die Nachkriegszeit interessieren.

Text, Titelbild: Lara Fandrey

<h3>Lara Fandrey</h3>

Lara Fandrey

studiert derzeit Medienmanagement an der Hochschule Mittweida. Bei medienMITTWEIDA engagiert sie sich seit dem Somersemester 2024 und leitet das Ressort Campus.