Couchkritik im Juni

Das Licht in der Dunkelheit

von | 4. Juni 2021

Rätselhaft knisternde Augenblicke verführen euch in andere Welten. Welche Serie hält den Zauber, den sie verspricht?

Zuhause bleiben, die Online-Vorlesungen verfolgen und auf eine mögliche Impfung warten – all das fühlt sich äußerst zermürbend an. Wer einen Weg aus dem tristen Alltagsleben sucht, wird hier fündig, denn ein kleiner Funke Magie schadet nie. Drei geheimnisvoll dunkle Serien entführen euch in das romantische Italien, das russisch angehauchte Ravka und das abenteuerreiche London.

Luna Nera

Die Nacht ist dunkel, die Luft kalt und der Boden blutig. Wir befinden uns im alten Italien, 17. Jahrhundert. Dreizehn tote Hirsche liegen im Wald. Einem davon wird gerade das Herz entfernt. Es schlägt noch. Die Vorzeichen dieser Nacht verheißen nichts Gutes.

Die junge Frau Ade (Antonia Fotaras) unterstützt ihre Großmutter jedes Mal, wenn im Dorf Serra ein Kind geboren wird. Doch bei dem Besuch der Familie Sante wusste sie bereits, dass das Neugeborene nicht überleben wird. Diese Vorhersehung besiegelt ihr Schicksal. Der trauernde Vater lässt Ades Großmutter hinrichten, woraufhin sie mit ihrem Bruder allein zurückbleibt. Pietro (Giorgio Belli), der älteste Sohn der Santes, verhilft den beiden zur Flucht. Schnell wird klar, dass Ade und Pietro etwas füreinander empfinden. Jedoch ist Ade sich ihrer magischen Kräfte nicht bewusst. Ein Hinweis führt sie zu einem Ort, an dem sie von einer geheimnisvollen Frauengruppe aufgenommen wird. Pietro hingegen stellt sich dem Einfluss seines Vaters entgegen, welcher bereits eine gefährliche Gruppe formiert. Kann das Paar diesen Konflikt überstehen?

Keine Sorge, den Trailer gibt es bei Netflix auch auf Deutsch.

Fliegende Fische und italienisches Temperament

Das historische Fantasy-Drama thematisiert die Hexenverfolgung durch die Benandanti. Die Kernidee der drei Regisseurinnen Francesca Manieri, Laura Paolucci und Tiziana Triana, spiegelt sich vor allem in den Kostümen wider. In verrückten Jagd-Outfits, welche an Jason Mamoas Fellkutte aus Frontier und dem gruseligen Maskenmörder aus Freitag der 13. erinnern, streifen die Benandanti durch Serra. Beachtenswert ist dabei, wie schnell aus einer negativen Emotion ein Lauffeuer aus Rache und Hysterie entstehen kann. In diesem Chaos halten die Frauen immer zusammen und bilden eine Familie, welche individuelle, magische Kräfte fördert und andere Menschen aus Notlagen befreit. Dabei geraten einige Figuren sehr temperamentvoll aneinander, sodass diese Emotionen für den Zuschauer greifbar werden. Genau solche Situationen machen die Serie lebendig und diese braucht es auch, um hervorstechen zu können. Oftmals wird sich nämlich an klischeehaften Fantasy-Elementen wie versteckten Türen oder magischen Zirkeln bedient. Jedoch verbergen sich auch unerwartete Wendungen in Ades Familiengeschichte. Leider erfährt man noch viel zu wenig darüber, welchen Ursprung ihre Magie hat und welche Ziele die Frauen verfolgen. Ein tiefgreifender Konflikt wird angedeutet, aber nicht aufgeklärt.

Benandanti

Die guten Wanderer“ ist ein norditalienischer Kult, welcher im späten 16. Jahrhundert seinen Ursprung hatte. Mitglieder dieses Kultes waren Menschen, die auf Basis einer landwirtschaftlichen Tradition behaupteten, im Schlaf aus ihrem eigenen Körper reisen zu können, um böswillige Hexen zu bekämpfen und somit eine sichere Ernte zu garantieren. Nach diesem Glauben wird ein Benandanti bei seiner Geburt mit einer dünnen Membran auf dem Kopf geboren, welche diese Visionen sichtbar macht.

Ein Großteil der Dreharbeiten fand in der Toskana statt. Rot gefärbte Wasserquellen, ein aufwändiger Maskenball, eine Stadt voller Feinde und ein okkulter Unterschlupf bilden das ästhetische Lebensumfeld der Charaktere. Leider hapert es bei den Visual Effects. Grundsätzlich kreieren diese zwar sehr eindrucksvolle Momente zum Beispiel, wenn Fische durch die Luft schwimmen oder plötzlich ein Kuchen auftaucht. Dennoch ist auffällig, dass gewisse Elemente stockend oder erzwungen wirken. Auch die musikalische Untermalung lässt zu wünschen übrig. Denn Achtung – hier könnte man sich vor plötzlichen Geräuschen erschrecken. 

Für romantische Seelen, welche auch ein wenig Herzschmerz vertragen, ist Luna Nera mit nur sechs Folgen die ideale Serie für zwischendurch. Leider wirken die magischen Szenarien eher abschreckend, als verzaubernd, weshalb man nicht vollständig in diese Welt eintauchen kann. Der große Cliffhanger im Staffelfinale lässt jedoch auf eine zweite Staffel warten. Wenn in Zukunft auf Ton, Visual Effects und eine zusätzliche Ladung female Empowerment geachtet wird, könnte die Serie echtes Potential entwickeln.

Shadow and Bone – Legenden der Grisha

Willkommen im Zarenreich Ravka, in welchem eine Kluft aus düsterer Finsternis und furchtbarer Monster das Land entzweit und eine ganze Nation auf die heilige Sonnenkriegerin wartet. Denn sie hat die Macht die Dunkelheit zu durchbrechen – sie ist die einzige Hoffnung.

Mit dieser Adaption hat Netflix es geschafft den Bogen zwischen zwei unterschiedlichen Geschichten aus demselben literarischen Fantasy-Universum zu spannen: der Grisha Trilogie und der Krähen Dilogie von Leigh Bardugo. Durch charaktergesteuertes Storytelling werden die Buchreihen nicht in chronologischer Reihenfolge abgearbeitet, sondern laufen parallel und kreuzen sich. Durch diesen neuen roten Faden wurde eine spannende Atmosphäre geschaffen, in welcher sich sowohl Neulinge des Grishaverse als auch eingefleischte Fans wohlfühlen können.

Die Waisen Alina Starkov (Jessie Mei Li) und Malyen Oretsev (Archie Renaux) gehörten schon immer zusammen, doch nun droht der Krieg sie auseinander zu reißen. Bei einem Angriff in der Schattenflur stellt sie qualvoll fest, dass sie die Gabe besitzt das Licht zu beschwören. General Kirigan konfrontiert Alina mit dem Ausmaß ihrer Kräfte und entführt sie in den kleinen Palast. Daraufhin bleibt Mal allein im Lager zurück. Nach diesem Ereignis spricht sich auch in Ketterdam herum, dass die Sonnenkriegerin gefunden wurde und Kaz Brekkers Krähenbande beginnt einen Plan zu schmieden, um die Schattenflur zu überqueren und Alina zu kidnappen.

Die Liebe zum Buch

Eine gewisse Gefahr der Enttäuschung besteht bei Buchadaptionen immer, doch die Änderungen für Shadow and Bone wurden mit cleveren Neuerungen getroffen. So ist Alina nicht mehr das weiße, naive Mädchen, sondern halb Shu – die Verkörperung des Feindes von Ravka. Deswegen muss sie sich in ihrer Geschichte immer wieder Anfeindungen und Diskriminierungen stellen. Was in Corona Zeiten, bei problematischen Aussagen wie dem “China-Virus”, eine umso tiefere Bedeutung bekommt. Dennoch könnten die Handlungsstränge von Alina und General Kirigan leicht sprunghaft wirken, was höchstwahrscheinlich dem Umstand geschuldet ist, dass die Krähen mit der Geschichte interagieren. Grisha-Neulingen würde das jedoch nicht auffallen.

Die durchweg gelungene Filmdarstellung der Finsternis lässt sich auf die Feder von Showrunner Eric Heisserer zurückführen, welcher bei dem Horrorthriller Bird Box mitgewirkt hat. Besonders gut zu beobachten ist diese bei General Kirigan, aka der Dunkle – gespielt von Ben Barnes, den man aus Narnia oder Marvels Punisher kennt. Hier erlebt man eine äußerst bemerkenswerte Komposition mehrerer bildhafter Darstellungen traumatischer Erlebnisse im Zusammenspiel mit bewegender Emotion und passender musikalischer Begleitung.

„I just couldn’t shake the idea that despite how old we get, there’s this fear of darkness that never really goes away. All those questions about the Shadow Fold and the Grishaverse came from this. I had so many questions about the dark and its mysteries. This story is really about the primal fear of the dark.“

„Ich konnte den Gedanken nicht abschütteln, dass egal wie alt wir werden, es immer eine Furcht vor der Dunkelheit gibt, welche niemals wirklich verschwindet. Alle Fragen über die Schattenflur und das Grisha-Universum entstammen daher. Ich hatte so viele Fragen über die Dunkelheit und ihre Mysterien. Diese Geschichte handelt von der Urangst über die Dunkelheit.“

Leigh Bardugo

Bestseller-Autorin

Ob Spionin Nina, der humorvolle Jesper oder Matthias, der Kraftprotz mit weichem Herz, in mindestens eine Figur wird man sich verlieben. Mit einem breitgefächerten Charakter Setup und einem perfekt ausgewählten Cast kann die Serie überzeugen. Nicht zu vergessen ist die besondere tierische Unterstützung von Milo der Ziege. In den sozialen Netzwerken wird bereits von „Sankt Milo“ gesprochen, dem Heiligen Milo. Das Sounddesign lässt Herzen wortwörtlich höher schlagen, denn der unterschwellige Pulsschlag, welcher in Verhören oder Kämpfen zum Tragen kommt, untermalt die außergewöhnlichen Fähigkeiten der Grisha. Auch an Details mangelt es der Serie nicht. Leseratten können sich über den gestohlenen DeKappel, ein Buch der Trilogie in Jespers Hand und Leigh Bardugo als Grisha im kleinen Palast freuen. Dothraki-Schöpfer David J. Peterson erschuf sogar diverse neue Sprachen für das Grisha-Universum, welche sich auf Flaschen, Büchern, Währungen und in Dialogen wiederfinden. Im Interview mit medienMITTWEIDA spricht er über seinen ungewöhnlichen Beruf.

Durch die Harmonie zwischen Nervenkitzel, Detailreichtum und Humor, versinkt man in einer komplexen Fantasy-Welt, die sofort fesselt und viel Platz für weitere spannende Geschichten lässt. Für zukünftige Staffeln ist beispielsweise eine maritime Erweiterung des Serien-Universums absehbar, da noch ein wichtiger Schlüsselcharakter aus der Buchvorlage fehlt. Mit dem angedachten drei Staffelplan von Eric Heisserer und den Buch Fortsetzungen von Leigh Bardugo wird uns das Grisha-Universum hoffentlich noch einige Zeit begleiten.

The Irregulars – Die Bande aus der Baker Street

Nackte Füße patschen durch den Matsch eines Tunnels. Lichter gleiten durch die Dunkelheit und Skelette liegen auf dem Boden. Alles nur ein Albtraum oder doch die Realität? Der erste Auftrag bahnt sich an und wird über einen dunklen Rabenschwarm in die 221b Baker Street getragen.

Irregulars

Ist der Name einer Gruppe von Straßenkindern, welche erstmalig in Sir Arthur Conan Doyles Roman „Eine Studie in Scharlachrot“ 1887 auftrat. Beschrieben wurden die Kinder von Dr. Watson als äußerst schmutzig und unanständig. Holmes sah in ihnen jedoch großes Potential, denn sie wurden später eine wichtige Informationsquelle für seine Ermittlungen. Insgesamt tauchte die Gruppe in drei Detektivgeschichten auf und war sogar Namensgeber der ersten Sherlock Holmes Gesellschaft. Es ist auch sehr wahrscheinlich, dass die Bande von realen Ereignissen inspiriert wurde, da die Obdachlosigkeit Anfang des 19. Jahrhunderts in London ein immer größer werdendes Problem darstellte.
Bea (Thaddea Graham), Jessie (Darci Shaw), Billy (Jojo Macari) und Spike (McKell David) leben in sehr ärmlichen Verhältnissen im viktorianischen London. Mit dem Wunsch nach Abwechslung schließt sich Leo (Harrison Osterfield), welcher wiederum aus besserem Hause kommt, der Bande an. Durch Zusammenhalt und Gaunereien schaffen sie es gerade so über die Runden zu kommen. Bis eines Tages Dr. John Watson (Royce Pierreson) auf die Gruppe aufmerksam wird und ihnen Aufträge gibt. Die von Albträumen geplagte Jessie entdeckt, dass sie übernatürliche Fähigkeiten besitzt, die der Bande beim Lösen der Fälle hilft. Schnell wird klar, dass diese keinen natürlichen Ursprung haben.

Mitgefühl kann alles lösen, sogar Kriminalfälle

Während in Sir Arthur Conan Doyles Geschichten auf die Bande nur oberflächlich eingegangen wird, steht sie in der Interpretation des Drehbuchautoren Tom Bidwell deutlich im Mittelpunkt. Denn Fans von Sherlock Holmes können auf ihren Lieblingsdetektiven lange warten. Erst in der fünften Folge bekommt man ihn zu Gesicht und diesen Anblick bereut man sofort. Was gezeigt wird ist ein gefühlsduseliger Mr. Holmes, der in seinem Drogenrausch Kinder ankotzt. Vom analytischen, klugen Geist keine Spur und das bewusst, denn die Bande bekommt all die Fälle, die der Detektiv nicht lösen kann. Von Augenauskratzen, zum Zähnerausreißen bis hin zu ermordeten Babys ist alles dabei. Für den ein oder anderen Gruselmoment ist gesorgt und ein Déjà-vu lässt nicht auf sich warten, denn auch abgetrennte Gesichter kennt man bereits von Arya Stark aus Game of Thrones.

„If in 100 years I am only known as the man who invented Sherlock Holmes, then I will have considered my life a failure.“

„Sollte man sich in hundert Jahren an mich nur als den Mann erinnern, der Sherlock Holmes erfand, dann müsste ich mein Leben als gescheitert betrachten.“

Sir Arthur Conan Doyle

Schriftsteller

Von der innovativen Idee, den Fokus der Figuren zu verschieben und die Fälle in einen paranormalen Mystery-Kontext zu setzten, wäre Doyle vermutlich selbst begeistert gewesen. Denn in seinen letzten Lebensjahren war er fasziniert von Geisterfotografie und Spiritualismus. Trotz dessen fehlt es leider an verstrickten Krimirätseln, welche den Zuschauer überraschen könnten. Oftmals liegt das Hauptaugenmerk auf zwischenmenschlichen Beziehungen und die Aufträge lassen sich durch simples Mitgefühl lösen. Denn Jessie gelingt es durch ihre Fähigkeiten meist im letzten Augenblick doch noch zu den Tätern durchzudringen. Kein schlechter Ansatzpunkt für eine Jugendserie, jedoch kollidiert das mit den leichten Horror-Elementen. Was wiederum den Eindruck erweckt, dass die Produzenten nicht direkt wussten in welche Richtung es primär gehen sollte. Das ist Schade, denn die Effekte und Szenerien sind sehr ansehnlich gestaltet. Zusätzlich sind die Charaktere der Bande und deren Beziehungen passend aufeinander abgestimmt. Wäre der Spannungsbogen ein wenig straffer gespannt, hätte das durchaus ein rundes Bild ergeben können.

Mit Hilfe der dynamischen Gruppe erlebt der Zuschauer einen abenteuerlichen Streifzug durch das mysteriöse London. Das kann sehr unterhaltsam sein. Wer jedoch gern rätselt und Sherlock Holmes liebt, sollte lieber die Finger davon lassen. Eine zweite Staffel wird es laut Netflix nicht geben.

Text: Valerie Haß, Titelbild: Luzie Carola Rietschel, Video:Youtube/Netflix
<h3>Valerie Haß</h3>

Valerie Haß

studiert im vierten Semester Medienmanagement mit der Vertiefung Production. Sie kommt aus der Bärenstadt Torgau und verbringt ihre Freizeit am liebsten in Kinosälen oder Buchläden.