Da war sie: die Chance sich zu echauffieren. Steffen Seibert, bisheriger Sprecher des ZDF heute Journals wird ab dem 11. August 2010 Regierungssprecher. Aufregung war bei dieser Meldung vorprogrammiert – über die fehlende Staatsferne des öffentlich-rechtlichen Rundfunks. Doch ist die Kritik überhaupt angebracht?
Der angekündigte Abschied des bisherigen Regierungssprechers Ulrich Wilhelm erregte schon große mediale Aufmerksamkeit. Jedoch nicht, weil Wilhelm die Bundeshauptstadt aus freien Stücken verlässt, sondern weil er den Intendantenposten beim Bayerischen Rundfunk übernimmt. Kritiker bemängelten zu Recht, dass hiermit die Staatsferne des öffentlich-rechtlichen Rundfunks nicht gewährleistet sei. Der gemeine Schwabe würde von einem „Gschmäckle“ sprechen, in Köln heißt der passende Begriff „Klüngel“. Wilhelm ist schließlich bekennendes CSU-Mitglied. Sein Wechsel scheint schon länger geplant.
Kritik aus allen Ecken
Ulrike Langer, freie Medienjournalistin und Bloggerin, kommentierte die Bekanntgabe der Personalie Seibert bei Twitter eindeutig: „Steffen Seibert Kanzleramtsprecher , Ex-Sprecher Ulrich Wilhelm BR-Intendant – soviel zur Staatsferne des öff-rechtl. Rundfunks.“ Hatte sich bei der Ernennung der früheren Kanzleramtssprecher Béla Anda und Peter Boenisch eigentlich jemand über die fehlende Staatsferne des privaten Axel Springer Verlags beschwert? Nein? Sicher weil es nur logisch ist, einem erfahrenen Journalisten die Fütterung des Haifischbeckens Hauptstadtmedien zu übergeben.
Auf den Wechsel Seiberts treffen die Formulierungen von fehlender Staatsferne augenscheinlich ohnehin nicht zu. Der ZDF-Mann, der dem Mainzer Sender seit Beginn seines Volontariats 1988 treu war, hat sich als Journalist zu keiner der Parteien bekannt. Stattdessen sprach er über sich als „Wechselwähler“. Er wähle die Partei, von der er sich persönlich die meisten Vorteile verspricht. Erstaunlich, dass zu diesem Zeitpunkt kein Medienjournalist aufschrie. Seibert sollte doch als Journalist sicher das Gemeinwohl über seine persönlichen Interessen stellen. Stattdessen wird er nun für seinen Berufswechsel angegriffen. „Kann Steffen Seibert frühs eigentlich noch in den Spiegel schauen?“ fragt Twitter-Nutzer mraniston. Definitiv! Der künftige Kanzleramtssprecher scheint alles richtig gemacht zu haben.
Persönliche Vorteile
Der finanzielle Anreiz dürfte Seibert die berufliche Veränderung vereinfacht haben. In Berlin wird er zum Staatssekretär. Sein Gehalt wird damit monatlich über 11.500 Euro betragen. Selbst wenn man die Einkunftsmöglichkeiten beim Zweiten Deutschen Fernsehen als überdurchschnittlich ansieht, dürfte eine annähernde Verdreifachung des monatlichen Einkommens zu einem Lächeln beim Blick in den Spiegel führen. Dass „Steffen Seibert seine Perspektive nicht im Journalismus gesehen hat“, wie es ZDF-Chefredakteur Peter Frey formulierte, mag vielen Journalisten missfallen. Ob sie selbst dieses lukrative Angebot ausgeschlagen hätten? Wohl nicht. Aber sich zu echauffieren ist schließlich viel unkomplizierter.
In einer Zeit, in der Experten mehr individuelle Flexibilität fordern, gibt der gebürtige Münchner seinen bisherigen Journalistenberuf auf, um sich an einer neuen Aufgabe zu versuchen. Geht es flexibler? Statt seine Renten-Eier im gemachten Lerchenberg-Nest auszubrüten, geht Seibert das Wagnis ein, nach einem Scheitern der aktuellen Bundesregierung vorübergehend arbeitslos zu sein. Obwohl: die zweite Amtszeit Markus Schächters als ZDF-Intendant endet 2012. Wenn sich Seibert dann beruflich wieder nach Mainz orientiert, kann jeder gerne nochmals über eine fehlende Staatsferne urteilen.