Foto: Helmut Hammer/Hochschule Mittweida
„Hier ist das Erste Deutsche Fernsehen mit der Tagesschau“. So ertönt es abendlich in deutschen Wohnzimmern, wenn pünktlich um 20 Uhr die älteste Fernsehnachrichtensendung der Bundesrepublik startet. Seit 65 Jahren informiert die tagesschau zuverlässig und seriös über aktuelle Themen.
Doch viele Zuschauer stehen der Arbeit der Journalisten kritisch gegenüber. Die Tagesschau stellt sich daher die Frage, ob sie neue Wege einschlagen sollte, um auch dem zweifelnden Publikum entgegen zu kommen. Die Redaktion startete in Kooperation mit Masterstudierenden des Studiengangs „Media and Communication Studies“ der Hochschule Mittweida das Projekt, um sich mit interessierten Zuschauern über die Zukunft der Sendung auszutauschen. Unter dem Titel „Mittweida, wir müssen reden! Die Tagesschau on Tour“ waren die „Macher der Tagesschau“ um Chefredakteur Kai Gniffke, Chefsprecher Jan Hofer, Social-Media-Expertin Julia Kuttner und dem MDR-Korrespondenten Danko Handrick zu Gast im Studio B. Gemeinsam mit Bürgern aus Mittweida und Umgebung sowie Mitarbeitern und Studierenden der Hochschule diskutierten die Vertreter der Redaktion über die Zufriedenheit, Bedeutung und Glaubwürdigkeit der Tagesschau. Auch über kritische Fragen und Probleme sprachen die Teilnehmer der Veranstaltung. Durch den Abend führte Mittweidas ehemaliger Lehrender für Journalismus und Redaktionspraxis, Professor Horst Müller.
Wie Kai Gniffke bereits im Vorfeld der Veranstaltung im Interview mit 99drei Radio Mittweida betonte, sei es ihm in seiner Position als Chefredakteur sehr wichtig, in Kontakt mit den Zuschauern zu treten und den Austausch auch in persönlicher Form zu fördern. Auch wenn die Tagesschau ein erfolgreiches Nachrichtenformat ist, so sei er sich nicht sicher, ob das in Zukunft auch so bleiben werde.
Kai Gniffke, Chefredakteur der Tagesschau, erklärt im Interview mit 99drei Radio Mittweida unter anderem die Bedeutung des Fakt-Checkings und wie die Themen des Nachrichtenformates ausgewählt werden.
In einer Straßenumfrage in Mitweida wurde im Vorfeld nach der Bedeutung der Tagesschau gefragt. Die Ergebnisse wurden am Veranstaltungsabend mit Hilfe von Videos gezeigt. Bürger hielten die Sendung für authentisch, seriös oder für „ein Stück Kultur“. Eine Passantin bekannte sich jedoch auch dazu, eher die Nachrichten des ZDF zu bevorzugen, da ihr die Tagesschau zu „altbacken“ wäre. Gniffke reagierte gelassen auf die Meinung: Es sei selbstverständlich, dass das Publikum nicht immer Gefallen an der Vorgehensweise der Tagesschau finde, setze aber dennoch auf die Nachsicht vieler Zuschauer. Gerade im „altbacken“-Sein liege die Stärke, findet Chefsprecher Jan Hofer. Er ist sich sicher, dass die Tagesschau sich nicht der Konkurrenz anpassen werde, sondern die Identität ihrer Marke beibehalten solle.
Eine andere, wichtige Frage des Publikums lautete, weshalb Themen aus den alten Bundesländern öfter in der Sendung Platz finden, während der östliche Teil Deutschlands thematisch weitgehend unbeachtet bliebe. Hier liege die Ursache auch in der Struktur der alten und neuen Bundesländer, so Handrick. Zum Beispiel hätten die meisten großen Firmen ihren Sitz in Westdeutschland.
Andererseits rücke die Stadt Dresden durch die Berichterstattungen über die ausländerfeindlichen Pegida-Demonstrationen in ein falsches Licht, sodass sich grundsätzlich die Frage stelle, ob die Tagesschau über solche Demonstrationen berichten solle, entgegnete Hofer. Die Sendung würde dann aber nicht mehr dem Anspruch einer Nachrichtensendung genüge tun. Handrick, der selbst über die Demonstrationen berichtete, ergänzte, das eigentliche Problem liege in diesem Fall im „offenen Rassismus“ und dieser müsse nun mal thematisiert werden.
Kai Gniffke gab einen Einblick in die Kriterien der Themenauswahl: Entscheidend sei Relevanz für die Gesellschaft, Betroffenheit, aber auch der Einfluss eines Akteurs. So sei zum Beispiel wichtig, wie viele Menschen eine Nachricht betrifft, so unter anderem bei Fragen nach Krieg oder Frieden. Die finalen Themen würden dann innerhalb der Sendung nochmals nach tagesaktueller Wichtigkeit sortiert. Prägende politische Entscheidungen oder Katastrophen fänden immer noch zu Beginn der Sendung ihren Platz. Erst gegen Ende der Sendung reihen sich übrige Meldungen ein, die einen Gesprächswert für die soziale Komponente wecken sollen, wie das Sportgeschehen, prominente Todesfälle oder Trauungen und letztlich der Wetterbericht.
Aus dem Publikum kam der Vorwurf, Themen nicht in die Sendung aufzunehmen, wie im Fall einer in Freiburg getöteten 19-Jährigen. Sie wurde Ende letzten Jahres von einem etwa gleichaltrigen Jungen erstochen. Der Tagesschau wurde unterstellt, das Thema bewusst verschwiegen zu haben, da es sich bei diesem um einen Flüchtling aus Afghanistan gehandelt habe. Dies sei jedoch nicht der ausschlaggebende Grund gewesen, verteidigte Gniffke seine Redaktion: Mord sei zwar schrecklich, aber die Tagesschau wolle und könne nicht über jeden Mord in Deutschland berichten. In diesem Fall rechtfertigte sich die Redaktion auch in einer Stellungnahme auf Facebook: Der Mord sei eine „Beziehungstat“ gewesen und das Opfer eine Jugendliche. Zudem habe die Redaktion am Tag des Vorfalls mittels eines Facebook-Posts über die Tat informiert, ergänzte Kuttner. Die Tagesschau nahm die Aufregung des Publikums in dieser Sache offenbar ernst, daher wurde am Folgeabend letztendlich doch ein kurzer Beitrag über den Vorfall in der Sendung gezeigt.
Auch Falschmeldungen (nicht unbedingt nur in Form von Fake-News) können zum Problem für die Tagesschau werden. Auch wenn die Journalisten bemüht sind, solche Fehler zu vermeiden: Trifft eine neue Meldung ein, werden Informationen von der Tagesschau sorgfältig geprüft. Die Redaktion brauche immer eine zweite Quelle, so Kuttner. Dazu stehen zum Beispiel geprüfte Twitter-Accounts von Polizeidienststellen oder anderen Behörden bereit. Die Redaktion selbst greift zur Überprüfung von strittigen Informationen auf mehrere Nachrichtenagenturen, ihr weltweites Korrespondentennetz oder auch auf Experten zurück, die bei der Verifikation behilflich sein können.
In einem eingespielten Video adressierten Mittweidaer Bürger unterschiedliche Meinungen und Wünsche an die Tagesschau. Während sich viele grundsätzlich positiv äußerten, wünschten andere sich hingegen mehr Berichterstattung über die Inlandspolitik und weniger Informationen über bunte Themen wie zuletzt die königliche Hochzeit in Großbritannien.
In der Veranstaltung selbst wurde auch die nachrichtliche Sprache der Tagesschau diskutiert, die von vielen Zuschauern schlichtweg nicht verstanden würde. Schnelle Abhilfe konnte Chefredakteur Gniffke bei diesem Problem jedoch nicht versprechen: Natürlich könne man einfacher oder komplizierter formulieren, letztlich sei das Vorwissen eines jeden Zuschauers aber eben unterschiedlich. Es sei eine Frage, wie viel vorausgesetzt werden könne. Hofer glaube nicht, dass die Sendung mehr Zuschauer bekommen würde, wenn sie sprachlich einfacher gemacht sei. Kuttner verwies hier abermals auf die Social-Media-Kanäle, in der mit der Rubrik „Kurz erklärt“ Hintergrundinformationen zu Themen vereinfacht in Videos erläutert werden. Diese Videos sind auch auf der Website der Tagesschau zu finden.
Im Anschluss an die Talkrunde diskutierten Teilnehmer noch in drei von Masterstudierenden geleiteten Workshops über Themen wie Glaubwürdigkeit, lineares sowie digitales Fernsehen und Themensetzung. So endete dieser besondere Abend mit interessantem Gesprächsstoff. Angesichts der vielen Fragen zeigte sich das Team um Kai Gniffke erstaunt und dankbar: Die Entscheidung für das Pilotprojekt sei richtig gewesen. Die Redaktion könne sich die Fortführung so einer Veranstaltung auch in weiteren Regionen vorstellen.