Du kennst das bestimmt auch. Du sitzt vor einer Aufgabe und kommst einfach nicht weiter, weil auf dem Handy immer wieder Notifications ertönen. Außerdem schmeckt das Essen ohne das richtige Youtube-Video nur halb so gut. Vielleicht wird es Zeit für einen Dopamin-Detox? Dieser Trend aus dem Silicon-Valley verspricht eine Lösung gegen Prokrastination und einen Weg zum echten Glück. Wie das genau funktioniert und was es für Auswirkungen hat, erfährst Du jetzt.
Das Chaos im Bus
Jenni ist 20 Jahre alt und Studentin. Auf Instagram wurde sie auf das Thema Dopamin-Detox aufmerksam. Im Interview mit medienMITTWEIDA erzählt Jenni von ihrer ersten Erfahrung im Dopamin Detox.
Es ist ein Montagmorgen um 9:15 Uhr. Jenni sitzt im Bus auf dem Weg zur Uni. Wo sie normalerweise Zeit hat, um Musik zu hören und Instagram zu checken, muss sie nun das Geschrei kleiner Kinder ertragen. Auf dem Platz hinter ihr raschelt eine Tüte Kartoffelchips, gefolgt von lautem Schmatzen. „Ok, es geht echt viel im Bus ab”, denkt sie sich, „Wenn ich jetzt nur meine Musik hätte.” Jenni wird über die Instagram-Story eines Freundes auf das Thema aufmerksam. Dort spricht er von seiner Dopamin-Detox Challenge. Sieben Tage lang auf jegliche Dinge verzichten, die im Alltag normalerweise Dopamin ausschütten. Darunter zählen zum Beispiel: süße Lebensmittel, Koffein, Musik und allen voran natürlich Social Media, Videospiele, Filme und Serien. Für die sieben Tage hat Jenni auch ihre Eltern und kleinen Geschwister überredet, mitzumachen. Ziel der Challenge soll es sein, der Reizüberflutung im Gehirn entgegenzuwirken, indem man die Quellen für Dopamin-Ausschüttung im Alltag minimiert.
Dopamin
Dopamin ist ein Neurotransmitter, also ein Botenstoff im Gehirn. Das bedeutet, er ist sowohl für geistige als auch motorische Reaktionen verantwortlich. Im Umgangssprachlichen gilt Dopamin als Hormon des Glücks. Es wird ausgeschüttet, wenn wir etwas als positiv empfinden. Als Menschen sind wir evolutionär darauf programmiert, nach Verhaltensweisen zu suchen, die in unserem Belohnungszentrum Dopamin freisetzen.
Dopamin ist allerdings auch dafür verantwortlich, dass Menschen süchtig werden.
Ein Mangel an Dopamin-Molekülen im Gehirn kann zur Nervenkrankheit Parkinson führen.
Detox
Der Begriff Detox bedeutet wörtlich übersetzt Entgiftung. Er wird normalerweise im Kontext von Entgiftungsdiäten verwendet. Dopamin Detox ist ein plakativer Begriff und fachlich nicht korrekt. Es wird nicht auf Dopamin verzichtet, sondern auf ungesunde Aktivitäten, von denen man sich entgiften möchte.
Wieso ein Detox helfen kann
Neurobiologe Martin Korte erklärte gegenüber quarks.de, dass das Thema der Reizüberflutung gerade durch neue Medien durchaus drängend sei. „Immer wenn wir das Smartphone nutzen, wird Dopamin angeregt”, erläutert er. „Die (Apps) werden bewusst so programmiert, dass sie unsere Reize immer wieder triggern.” Eine Reizüberflutung hat auch zur Folge, dass wir extrem schlecht mit Langeweile umgehen können. Dies kann unter anderem dazu führen, dass wir Erlebtes nicht richtig verarbeiten, da wir uns zu viel von außen ablenken lassen. In der Psychologie wird Dopamin-Fasten als kognitive Verhaltenstherapie (KVT) angesehen. Allerdings gibt es nur wenige empirische Studien, die den Therapieansatz unterstützen oder widerlegen, da es den Trend erst seit knapp 4 Jahren gibt.
Viele machen Dopamin-Fasten falsch
Laut Expertenmeinung ist der Trend umstritten. Vor allem so, wie er durch Social Media kommuniziert wird. Oft wird bei Dopamin Detox gesagt, man solle auf soziale Kontakte und Essen ganz verzichten. Darum geht es aber bei dem Ansatz keineswegs. Dr. Peter Grinspoon schreibt in Harvard Health, dass es dabei weder darum gehe, die Menge an Glückshormonen zu reduzieren, noch allem zu entsagen, was Dopamin ausschütten könnte. Vielmehr sei der KVT-Ansatz dafür da, sich von ungesunden Stimulanzien, wie zum Beispiel zu langer Bildschirmzeit, zu befreien. Das geht am besten, indem man bewusst auf diese verzichtet. Ein Dopamin Detox kann sehr verschieden aussehen. Ein Extrembeispiel ist zum Beispiel der harte Verzicht, den Jenni gemacht hat. Das kann zwar helfen, alle Abhängigkeiten und tief verwurzelten Gewohnheiten aufzudecken, ist aber für einen längeren Zeitraum nicht empfehlenswert. So kann es beim Dopamin-Fasten, wie bei Diäten, zu einem Jojo-Effekt kommen. Das bedeutet einen starken Rückfall auf die Gewohnheiten, die man eigentlich abtrainieren will.
Die Suchtmittel des Alltags
Als sie an der Uni ankommt, bemerkt Jenni, wie viele Menschen eigentlich auf dem Campus herumlaufen. In der Vorlesung wird ihr sehr schnell langweilig. „Es war schwer bei der Sache zu bleiben”, erzählt sie im Interview. „Ich habe während der Uni oft am Handy gespielt. Das fiel dann logischerweise auch weg.” Nachdem sie die Busfahrt nach Hause übersteht, geht Jenni zuerst an den Rechner, um zu lernen. Danach liest sie ein paar Seiten aus einem Buch und legt sich ins Bett. Sie bemerkt, wie sie immer wieder unbewusst ihr Handy nimmt, um nach ihren Mitteilungen zu schauen. Sie ertappt sich auch dabei, dass ihr Finger manchmal beim Entsperren auf das Instagram Icon tippt, ohne dass sie es eigentlich bewusst wollte. Dazu meinte sie im Interview: „Ich wusste gar nicht, dass ich so ein Social Media „Opfer” bin. Es war sehr ungewohnt, nichts zu haben, mit dem man normalerweise abschalten kann, also ging ich einfach sehr früh schlafen.”
Von einer Substanzsucht, ist bei den alltäglichen Suchtmitteln, auf die Jenni verzichtet nicht die Rede, da Smartphone, Zucker und co. nicht direkt sondern indirekt Dopamin auslösen. Anders als bei Alkohol, Tabak und härteren Drogen, wo die Einnahme der Substanz direkt Dopamin im Gehirn auslöst. Trotzdem können unseren alltäglichen Suchtmittel einen ähnlichen Effekt auf unsere Psyche haben. Das liegt daran, dass sie oft genau so konzeptioniert sind, um möglichst viel Dopamin auszuschütten. Das hat auch Jenni gemerkt, da sie leichte Entzugserscheinungen von der digitalen Abstinenz erfährt. So zum Beispiel, dass sie unbewusst auf ihre Lieblings-App drückt, oder gedankenlos auf dem Handy wischt, um nach Mitteilungen zu schauen.
Der zweite Tag im Dopamin-Fasten fühlt sich für sie sehr ähnlich an, wie der erste. Bei ihrer Familie bemerkt Jenni allerdings die Ratlosigkeit und Frustration, welche sich im Haus breit macht. Ihre kleinen Geschwister müssen auf TikTok und Computerspiele verzichten, während bei den Eltern der Fernseher nach der Arbeit ausbleibt. „Als wir uns abends mit der Familie zusammensetzten, um über die Pläne für den nächsten Tag zu reden, endete es leider nicht so wie erhofft.“ Es entstanden Konflikte und wir haben uns gestritten, weil wir uns auch nicht mehr ignorieren konnten.”, erzählt sie medienMITTWEIDA.
Neue Motivation
An Tag drei der Challenge hat Jenni genug von der Langeweile. Nach der Uni geht sie nicht, wie die zwei Tage zuvor, früh ins Bett, sondern beginnt, das Haus aufzuräumen. Anschließend sortiert sie ihren Kleiderschrank aus und erledigt jegliche kleine Aufgaben, die sich in ihrem übrigen Alltag angesammelt haben. „Ich habe auch angefangen, mir mehr Gedanken über mein Leben zu machen und vieles zu hinterfragen“, erzählt sie.
Dopamin spielt in der Tat eine entscheidende Rolle für unsere Motivation. Forscher fanden heraus, dass unser Belohnungs- und Motivationssystem eng zusammenhängen. Jedes Mal, wenn uns etwas „Positives” widerfährt oder wir etwas tun, was gut für uns ist, wird Dopamin ausgeschüttet. Vereinfacht erklärt, entscheiden wir uns oft für die Dopamin-Quelle, also die Aktivität, die für uns am leichtesten zu erreichen ist. Das trägt wesentlich dazu bei, dass uns die Motivation fehlt, schwierige Aufgaben zu erledigen. Aber durch einen Verzicht auf diese „billigen” Dopamin-Quellen, können wir das Gehirn dazu bringen, motiviert an schwere oder langweilige Aufgaben heranzugehen. So geht es nun auch Jenni, die auf einmal das Haus putzt und den Kleiderschrank aussortiert, da ihre sonstigen Stimulanzien nicht mehr erreichbar sind.
Ab Tag vier geht es mit der Challenge für sie langsam bergauf. Jenni beginnt die neu gewonnene Zeit zu nutzen, um Aufgaben zu erledigen und sich mit ihr selbst zu beschäftigen. Sie fängt auch an, ihr Handeln gegenüber anderen zu hinterfragen und über ihre Beziehung zu sich und der Welt nachzudenken. „Und dann ist mir auch erst recht so bewusst geworden, was alles auf mich einen Einfluss hat”, erklärt sie und fügt hinzu: „Es war mir schon klar, dass eine leichte Abhängigkeit zum Handy und Social Media besteht, aber ich habe auch wahrgenommen, was für einen Einfluss mein Studium und auch die Menschen um mich herum auf mich haben.” Jenni sagt, dass die Gedanken und Eindrücke während der Detox-Woche, ihr Leben nachhaltig geprägt haben. In den folgenden Monaten wechselt sie zu einer anderen Uni, trennt sich von ihrem damaligen Freund und geht bewusster mit sozialen Medien um. Den Dopamin-Detox empfindet sie als maßgebenden Auslöser für die starken Veränderungen in ihrem Leben.
Wie es weitergehen kann
Um den eigenen Lebensstil nachhaltig zu verändern, rät Neurobiologe Korte im Interview mit quarks.de, lieber längerfristig seine Gewohnheiten umzustellen. Unsere kognitiven Ressourcen sind begrenzt und wir können uns nicht auf tausend Dinge gleichzeitig konzentrieren. Klare Regeln, wie zum Beispiel keine reizstimulierenden Technologien vor dem Schlafengehen oder bei der Arbeit, können dabei schon helfen. Außerdem kann man auch in das andere Extrem abrutschen. Gerade der Trend auf Social Media kann durchaus dazu führen, dass manche versuchen, sich mit dem Entzug gegenseitig zu überbieten. Ein zu starker Entzug kann allerdings zu Depressionen führen und ist daher nicht ratsam.
Auf die Frage, ob sie ihren Dopamin-Detox empfehlen würde, ist sich Jenni ganz sicher. Jeder sollte einmal die 7-Tage Challenge ausprobieren. „Es geht nicht mal darum, sein Leben zu verändern und die positiven Effekte, wie ich sie hatte, zu bekommen”, erklärt sie: „Ich finde, man sollte erstmal merken, wovon man eigentlich abhängig ist und was die Kontrolle über einen hat.” Jenni meint, es sind die kleinen Sachen, die einen riesigen Unterschied im Alltag machen. Keine Musik im Bus zu hören, war für sie fast das Schlimmste. Jenni meinte: „Das Ziel der Detox-Woche ist, dass man sein Potential erkennt. Das Potential, was man hat, wenn man sich nicht durch seine Gewohnheiten einschränkt, sondern sich von allem frei macht.”
Mehr zum Umgang mit Langeweile findest du hier.
Text, Titelbild: David Barsch via Midjourney