Kommentar: Leuchtendes Vorbild Geißler

von | 29. November 2010

Der Ex-Politiker Heiner Geißler ist der neue Vorzeigejournalist und erhält den Leuchtturm-Preis von Netzwerk-Recherche. Die Medienvertreter bejubeln die Forderung des 80-Jährigen, der Journalismus müsse an Einfluss verlieren.

Das ATTACkierende CDU-Mitglied ist mittlerweile zum umjubelten Schlichter im Streit um den Bau des baden-württembergischen Bahnbauprojekts Stuttgart 21 mutiert. Morgen will Heiner Geißler seinen Schlichterspruch präsentieren. Dem Freudentaumel der medialen Jubelarien hat sich nun auch Netzwerk-Recherche angeschlossen. Der Verein für seriösen Journalismus zeichnete den 80-Jährigen am 24. November 2010 neben Arno Luik vom Stern und Andreas Zielke von der Süddeutschen Zeitung mit dem Leuchtturm-Preis aus.

Auszeichnung als reizvoller Quatsch

Die Frage von Dr. Thomas Leif, dem Vorsitzenden von Netzwerk-Recherche, ob sich der Vorzeige-Schlichter aufgrund seiner öffentlichen Akzeptanz vorstellen könne, den Bundestagspräsidenten zu ersetzen, deklarierte Geißler eindeutig: „Reizvoller Quatsch.“ Er hätte auf die Anfrage, ob er den Preis entgegennehmen möchte, mit selbigem Wortlaut reagieren sollen.

Für Netzwerk-Recherche scheint es in diesem Jahr außerordentlich schwierig gewesen zu sein, angemessene Preisträger zu finden. Zur Erinnerung: Der Leuchtturm von Netzwerk-Recherche ist ein Preis „für besondere publizistische Leistungen“. Bei ihrer Laudatio würdigte Ines Pohl, Chefreakteurin der Tageszeitung, die Texte und hob die Rechercheleistung von Luik und Zielke heraus. Anschließend fragte sie, warum Geißler einen Journalisten-Preis erhält. Die Antwort blieb sie leider schuldig. Ob die Jury wirklich wusste, wofür der Ex-Politiker ausgezeichnet wird?

Öffentlich Poltern statt recherchieren

Vielleicht hat die Leuchtturm-Jury auch einfach Geißlers frühere, intensive Recherchearbeit gewürdigt. Er legte schließlich 1977 als Erster und bisher Einziger offen, dass Günter Wallraff mit Terroristen sympathisiert. Legendär auch seine Rechercheerkenntnis von 1983: „Dieser Pazifismus der Dreißigerjahre hat Auschwitz erst möglich gemacht.“ Dass Geißler später dieses verbale Bombardement mit nichtverifizierten Behauptungen mühevoll abzumildern versuchte, sei ihm zugute gehalten, entschuldigen wollte er sich aber nie. Worte waren für den gebürtigen Schwaben schon immer ein geeignetes Mittel, um Aufmerksamkeit zu erregen – Poltern für die eigene Bekanntheit, ganz im Stile der so oft kritisierten Vier-Buchstaben-Zeitung.

Geißlers Forderung nach einer neuen Form der medialen Demokratie, die an der Vormachtstellung des Journalismus kratzen solle, erhielt von den bei der Preisverleihung anwesenden Medienvertretern spontanen Applaus. „Jawohl“ dachten sich die Anwesenden offenbar. Diese Forderung war neu und was neu ist, muss toll sein – vor allem, wenn es Heiner Geißler sagt. Selbiger wusste schon länger: „Die Berühmtheit mancher Zeitgenossen hängt mit der Blödheit der Bewunderer zusammen.“ Weiterklatschen, liebe Journalisten. Wenn das letzte Staubkorn der Einflussmöglichkeit bis zur nächsten Preisverleihung noch nicht verflogen ist, sollte ernsthaft darüber nachgedacht werden, Siegfried Kauder auszuzeichnen. Für seine Forderung zur Einschränkung der Pressefreiheit hätte er ähnliche Jubelbekundungen verdient.

<h3>Alexander Maack</h3>

Alexander Maack