Chemnitz

Wird die Kulturhauptstadt ein Desaster?

von | 7. Juli 2023

Frust, Verständnislosigkeit und Wut machen sich breit. Wird die Kulturhauptstadt ein Desaster?

In den letzten Wochen und Monaten wird die Kritik von Kulturschaffenden, Vereinen und Institutionen, die sich in der Kulturhauptstadt 2025 in Chemnitz einbringen wollen, immer lauter. In sozialen Netzwerken, auf Diskussionsveranstaltungen und in der lokalen Presse berichten immer mehr Menschen von den Problemen der Kulturhauptstadt und ihren düsteren Prognosen für das Jahr 2025.

Welten treffen aufeinander

Die Kreativachse war für viele Initiativen, Kulturschaffende und Gewerbetreibende ein spannendes Projekt. Insgesamt vier Millionen fließen vom Bund und der Stadt in die Belebung der Stadtteile Sonnenberg, Zentrum und Brühl bis Mitte 2025. Mit der Kreativachse sollen kommerzielle und nicht-kommerzielle Projekte gefördert und der Leerstand in den Stadtteilen mit neuem Leben gefüllt werden. Seit September vergangenen Jahres stehen die Fördermittel bereit, aber Fortschritte gibt es nur sehr langsam. Bis jetzt wurde noch kein Mietvertrag mit einem einzigen  Projekt abgeschlossen und verwirklicht. Die Kreativachse argumentiert mit vielen Hindernissen, wie die Instandsetzung der Immobilien und fehlenden Mietverträgen, die noch nicht fertig ausgehandelt worden sind. Alexandra, eine Vertreterin eines Projektes, welches sich für die Kreativachse beworben hat, argumentiert gegenüber medienMITTWEIDA: „All die Argumente der Kreativachse ergeben Sinn. Das Problem ist nur, dass diese Probleme schon letztes Jahr im November bekannt waren und Fortschritte nur sehr langsam sichtbar werden“. 

Der langsame Fortschritt der Kreativachse ist nur ein Beispiel, wie die Stadt das Potenzial der Gesellschaft in Chemnitz nicht ausschöpft und nicht die Rahmenbedingungen schafft, in denen sich die Projekte entfalten können. Das größte Kunstprojekt „We Parapom“ des Bidbook wurde nun komplett abgesagt und soll bis Ende des Jahres neu konzipiert werden, um die Bevölkerung mehr in das Projekt mit einzubinden.

Zusätzlich steht mit dem Kosmos-Festival ein weiteres Flagship-Projekt auf der Kippe. Im Februar 2023 wurde erst von der CWE angekündigt, dass das Festival in einem kleineren Format stattfinden soll, um es schlussendlich komplett abzusagen. In ihrer damaligen Pressemitteilung begründet die CWE die Absage, wie folgt: „Um den KOSMOS langfristig etablieren zu können, müssen Strukturen und Kapazitäten aufgebaut werden.“ Dafür sollte im Sommer eine Konferenz stattfinden, die inzwischen auf September verschoben wurde. Oberbürgermeister Sven Schulze verspricht in einem Interview gegenüber der Freien Presse, dass das Kosmos 2024 und 2025 stattfinden soll. Wenn man mit verschiedenen Kulturschaffenden aus Chemnitz spricht, zeichnen sie eher ein anderes Bild und zeigen viele Fragestellungen auf, ob das Festival wie 2022 nochmal stattfinden wird.

Auf dem rechten Auge blind

Die Kulturhauptstadt sollte nicht nur das rechte Image der Stadt Chemnitz nach den Ausschreitungen 2018 verbessern, sondern war auch eine wichtige Säule, dass Chemnitz überhaupt die Kulturhauptstadt 2025 als Titel tragen darf. Im Jahr 2025 werden bis zu zwei Millionen Gäste in der Stadt erwartet. Als europäische Kulturhauptstadt werden natürlich auch migrantische und ausländische Gäste, Künstler*innen und Vertreter*innen aller Art die Stadt besuchen. Das wirft die Frage auf, wie sicher die Gäste in Chemnitz sind  und ob die Polizei sowie die Stadt einen angemessenen Umgang mit ihnen finden können. Wenn man die Geschehnisse der letzten Monate und den Umgang damit betrachtet, fasst man schnell den Entschluss, dass sich wenig verbessert hat mit der Handhabung von rechten Übergriffen. Darüber hinaus erleben migrantische und ausländische Menschen tagtäglich rassistisches Verhalten in Chemnitz.

Im März 2023 wurden Gäste der European Cultural Foundation aus Amsterdam beleidigt und teilweise schwer verletzt. Sie waren für mehrere Tage auf Besuch in der zukünftigen Kulturhauptstadt und wollten ihre Reise auf einer Party ausklingen lassen. Auf dem Heimweg zum Hotel wurden sie von mehreren Personen beleidigt und mit Schlägen und Tritten attackiert. Eine Person erlitt schwere Verletzungen und musste mit dem Bruch des Kehlkopfes sowie einem  Jochbeinbruch auf die Intensivstation eingeliefert werden. Andre Löscher von der Beratungsstelle Support des RAA Sachsen e.V. fordert in der eigenen Pressemitteilung zu dem Vorfall: „Chemnitz muss sich gerade mit Blick auf das Kulturhauptstadtjahr 2025 auch daran messen lassen, wie Behörden und Verwaltung auf solche Angriffe reagieren. Eine klare Benennung des naheliegenden Tatmotives, als auch sichtbare Solidarität, sind für die Betroffenen entlastend und zugleich ein starkes Zeichen innerhalb und außerhalb der Stadtgrenze.” Der Angriff auf die Gäste der European Cultural Foundation war in den letzten Monaten kein Einzelfall. Im November 2022 holte der ASA-FF gemeinsam mit der TU Chemnitz die internationale Friedenskonferenz „Build Peace“ nach Chemnitz. Die sehr renommierte Konferenz gastiert sonst in Weltmetropolen wie Bogotá oder Nairobi. Die Gäste berichteten von rassistischen Beschimpfungen, komischen Blicken und einem generellen Unsicherheitsgefühl in der Stadt. Alle polizeibekannten Vorfälle von rassistischen und rechten Übergriffen in Sachsen werden von der Beratungsstelle für Opfer rechter Gewalt (RAA Sachsen e.V.) gesammelt und registriert. Wenn man sich diese Statistiken anschaut, verzeichnet Chemnitz keine höheren Zahlen und Tendenzen als in anderen sächsischen Regionen. Am Ende sticht Chemnitz durch seinen latenten Alltagsrassismus und den stetig gewachsenen extrem rechten Strukturen mit überregionaler Bedeutung hervor.

Ein weiteres Beispiel, welches den Einfluss der extremen Rechten in der Stadt zeigt, ist die Ernennung eines Kader der extrem Rechten Identitären Bewegung in den Aufsichtsrat von C3. Dieser rechte Kader wurde von der ProChemnitz beziehungsweise Freie Sachsen-Fraktion für den Aufsichtsratsposten benannt und konnte juristisch nicht verhindert werden. C3 ist eine Tochtergesellschaft der Stadtverwaltung und kümmert sich unter anderem um die Stadthalle und das Stadion an der Gellertstraße. Zusätzlich ist seit den Ausschreitungen 2018 mit den Freien Sachsen eine neue politische Kraft entstanden, die es durch die Corona-Proteste geschafft hat, große Teile der extremen Rechten und Konservativen zu vereinen. Sie laufen bis heute jeden Montag mit rassistischen und rechten Parolen durch die Stadt. Zusätzlich stehen nächstes Jahr die Kommunal- und Europawahlen in Sachsen an. Die erste Landratswahl eines AFD-Politikers in Sonneberg ist wohl nur der erste Dominostein von vielen, der noch fallen wird. 

Ausblick

In den nächsten Monaten wird sich zeigen, ob die Verantwortlichen der Stadt Chemnitz und der Kulturhauptstadt die richtigen Entscheidungen treffen, um das Kulturhauptstadtjahr erfolgreich zu gestalten. Bis 2025 gibt es noch viel zu tun. Angefangen von unbesetzten Stellen bei der Kulturhauptstadt, abgesagten Prestige-Projekten und der fehlerhafte Umgang mit rechten Übergriffen. Die aktuellen Interviews der Verantwortlichen zeichnen dahingehend eher ein düsteres Bild. Man zeigt lieber mit dem Finger aufeinander und gibt einander die Schuld, anstatt die Probleme anzupacken und mit den Bürger*innen gemeinsam Lösungen zu finden.

Kommentar des Autors

Desaster mit Ansage

Im Ernst: Wer dachte wirklich, dass Chemnitz die Kulturhauptstadt auf die Reihe bekommt? Die Bewerbung wurde von Anfang an belächelt. Wir sollen europäische Kulturhauptstadt werden? Wer’s glaubt, wird selig. Die Zusage 2020 hat dann selbst kritische Chemnitzer geblendet und die Hoffnung geweckt, man könnte mit der Aufmerksamkeit und den Millionen an Steuergeldern etwas Sinnvolles tun und Chemnitz auf eine neue Stufe heben. Natürlich war man skeptisch, ob genau die Verantwortlichen, Verwaltungen und Institutionen die Deutungshoheit innehaben, die schon in den letzten Jahren wenig auf die Ketten bekommen haben. Nun, eineinhalb Jahre vor dem Start des Kulturhauptstadtjahres, sieht es ziemlich bescheiden aus. Wichtige Stellen kündigen oder sind nicht besetzt, Prestige-Projekte werden verschoben und eingestampft und wirklich Neues ist bisher nicht entstanden. Die Euphorie ist verflogen und man befindet sich wieder in der täglichen Chemnitzer Resignation. Dabei müsste die Stadt nicht wirklich viel machen, außer den Kulturschaffenden und Initiativen passende Rahmenbedingungen zu bieten, damit sie ihre Projekte umsetzen können, anstatt sie mit Bürokratie zu zähmen. Einfach mal zuhören, Verständnis aufbringen und die eigenen Fehler anerkennen. Wenn man die Interviews unseres Oberbürgermeisters Schulze oder des künstlerischen Leiters der Kulturhauptstadt Schmidtke liest, wird einem übel. Typische, nichtssagende Statements von Politikern. Die anderen sind schuld, die Erwartungen zu hoch und es wird schon alles laufen. Wenigstens bleibt sich Chemnitz treu. Unsere Straßen sind nachts leer und wenn du Glück hast, wirst du noch von Neonazis verprügelt, ohne dass es jemanden interessiert.

Text & Titelbild  – Emin Aiche

<h3>Emin Aiche</h3>

Emin Aiche

ist 25 Jahre alt und studiert Medienmanagement an der Hochschule Mittweida. Er engagiert sich seit dem dem Sommersemester 2023 im Team Technik.