In allen Ecken des Arbeitsmarktes fehlt Nachwuchs – das ist nicht neu, bereitet aber Unternehmen, der Politik und der ganzen Gesellschaft mehr und mehr Sorgen. Auch der Journalismus ist vor sinkenden Bewerbungszahlen nicht sicher.
Weniger Bewerbungen – weniger Frauen
Bewerbungen auf freie Stellen im Journalismus gehen in den letzten Jahren deutlich zurück. Bei den ARD-Anstalten sind die Bewerbungen 2020 um bis zu 50 Prozent gesunken. Sinkende Bewerbungszahlen, vor allem im Lokalen, bestätigt Hendrik Zörner, Pressesprecher des Deutschen Journalisten-Verbandes DJV, auf Anfrage von medienMITTWEIDA. „Wir hören aus Zeitungsredaktionen in der Provinz, dass zu wenige qualifizierte Bewerbungen eingehen“, so Zörner.
Auch Anja Pasquay, Pressesprecherin beim Bundesverband Digitalpublisher und Zeitungsverleger (BDZV), sieht sinkende Bewerbungszahlen. Bei den Mitgliedsverlagen des BDZV sind insgesamt 11.288 Redakteur*innen und 895 Volontär*innen beschäftigt. Auffällig ist das Geschlechterverhältnis: Im Volontariat gibt es jeweils zur Hälfte Frauen und Männer. Im späteren Redakteur*innen-Leben nimmt der Frauenanteil immer weiter ab. Pasquay erklärt, dass der journalistische Beruf nicht sonderlich familienfreundlich sei. Bei den ausgewiesenen Redakteur*innenzahlen handele es sich um Vollzeitstellen.
2020 | Volontär*innen | Prozent-Anteil | Redakteur*innen | Prozent-Anteil |
Frauen | 481 | 54 % | 4.135 | 37 % |
Männer | 414 | 46 % | 7.153 | 63 % |
Gesamt | 895 | 100 % | 11.288 | 100 % |
Beschäftigtenzahlen der Mitgliedsverlage des Bundesverbandes Deutscher Zeitungsverleger, Quelle: BDZV
Die Beschäftigtenzahlen für Redakteure und Volontäre bei den Mitgliedsverlagen des BDZV von 2020 ergeben sich auch aus zusammengefassten Teilzeitstellen, um die sich wiederum eher Frauen bewerben. Zu beobachten sei laut Pasquay auch, dass an Positionen mit höherer Verantwortung mehr Männer als Frauen beschäftigt sind.
Weshalb findet der Lokaljournalismus immer weniger Nachwuchs?
Anja Pasquay vom BDZV berichtet über vielseitige Gründe, weshalb vor allem junge Menschen seltener den Weg in Lokalredaktionen einschlagen und es folglich auch schwieriger wird, passende Bewerber*innen zu finden. Bei einem Besuch der Konferenz Medientage im Oktober 2022 in München führte die Pressesprecherin Gespräche mit jungen Menschen. Ihnen seien Themen wie Flexibilität und Wertschätzung wichtig. Diversität in Redaktionen stehe im Vordergrund. Und nicht zuletzt werde die Einteilung von Redaktionen in strikt getrennten Ressorts wie Wirtschaft, Sport und Kultur als altmodisch wahrgenommen. „Junge Menschen arbeiten lieber in Projekten und thematisch offen“, berichtet Pasquay.
Systemrelevanz und Demokratie
Große Worte für eine große Aufgabe. Wofür der Lokaljournalismus gebraucht wird, hat Torsten Kleditzsch bereits im Januar 2020 im Interview mit medienMITTWEIDA erklärt. Heute sagt er: „Journalismus ist für eine demokratische Gesellschaft unerlässlich. Dafür braucht es Nachwuchs, der im lokalen Umfeld informiert und unterhält. Sich frühzeitig auszuprobieren hilft nicht nur dem Lebenslauf, sondern auch um herauszufinden, ob der Beruf etwas für einen ist.“
Zu einer weiteren Aufgabe der Lokalpresse haben sich die Autor*innen einer aktuellen Situationsanalyse rechter und antidemokratischer Strukturen im Erzgebirgskreis, des EFBI Policy Paper 2022-3, geäußert. Konkret geht es um die frühzeitige Erkennung von Radikalisierung. Es brauche kontinuierliche und professionelle Beobachtung, um diese Strukturen rechtzeitig zu erkennen. „Die Lokalpresse leistet hier bereits einen sehr wichtigen Beitrag“, schreiben die Autor*innen des Papers.
Welche neuen Wege finden Lokalredaktionen?
Nachwuchssuche beim MDR
„Generell hat sich der Arbeitsmarkt von einem Arbeitgeber- zu einem Arbeitnehmermarkt gewandelt“, teilt ein Sprecher des MDR auf Anfrage von medienMITTWEIDA per E-Mail mit. Um auf dem veränderten Markt Arbeitskräfte für regionale Themen zu begeistern und den Einstieg in Lokaljournalismus zu ermöglichen, bietet der MDR Regionalvolontariate mit einem Fokus auf Lokalthemen an. Im Gegensatz zum allgemeinen Volontariat finden hier die Praxisstationen im Landesfunkhaus und den Studios statt. Beim MDR gibt es aktuell zwei Volontariats-Jahrgänge mit je zehn bis zwölf Volontär*innen.
Arbeitnehmer- statt Arbeitgebermarkt
Der Mangel an Fachkräften bewirkt, dass Unternehmen mit ihren offenen Arbeitsstellen, Vorteilen und Vergütungen bei potenziellen Bewerber*innen für sich werben müssen. Man könnte sagen, das Unternehmen bewirbt sich bei den Arbeitskräften. In einem Arbeitgebermarkt wäre es andersherum. Dort müssen sich viele Arbeitskräfte auf wenige heiß begehrte Stellen bewerben.
„Praktika sind immer der erste Schritt in den Journalismus, ohne den in der Regel keine Volontariatsstellen vergeben werden“, schreibt Hendrik Zörner vom DJV in seiner E-Mail an medienMITTWEIDA. „Quereinsteiger haben eigentlich nur in journalistischen Nischen eine Chance. Beispiel: Eine Wissenschaftsredaktion sucht einen Journalisten mit Medizinkenntnissen.“
Ein Sprecher des MDR teilt mit, dass man dort grundsätzlich auch ohne ein abgeschlossenes Volontariat redaktionell arbeiten könne. Für eine Festanstellung sei aber ein abgeschlossenes Volontariat, ein Abschluss an einer Journalistenschule oder ein ähnlicher beruflicher Werdegang gefordert.
MDR fresh für mehr Diversität
Mit „MDR fresh“ hat der öffentlich-rechtliche Rundfunk in Mitteldeutschland ein Talente-Programm entwickelt, das für mehr Diversität in der Redaktion sorgen soll. Speziell werden Menschen ohne abgeschlossenes Studium und mit Migrationshintergrund angesprochen. Das Programm geht neun Monate, ist bezahlt und setzt sich aus Workshops und Praktika zusammen. Ziel ist, dass journalistische Grundkenntnisse vermittelt werden und die Teilnehmenden anschließend als freie Mitarbeitende arbeiten können.
Volontariat oder Quereinstieg bei der Freien Presse
Im Gespräch mit Torsten Kleditzsch, dem Freie Presse-Chefredakteur, erklärt er medienMITTWEIDA: „Pro Jahr suchen wir mindestens eine Handvoll neue Volontäre. Wir bilden für unseren Bedarf aus.“ Das bedeute, dass man nach erfolgreichem Abschluss des Volontariats auch ein Übernahmeangebot bekomme. Doch die Anzahl qualifizierter Bewerber auf Volontariate gehe laut dem Chefredakteur zurück. „2010 waren es etwa 60 Bewerber im Jahr, heute sind es ein Dutzend bis 15“, so Kleditzsch. Erfolgreiche Bewerber*innen waren zuvor freie Mitarbeitende, Werkstudierende oder hatten bereits einen Minijob und wurden so an den Verlag herangeführt.
Um mit der veränderten Situation auf dem Arbeitsmarkt umzugehen, müsse der Weg in die Redaktionen diverser werden. So werden laut dem Chefredakteur mehr Werkstudierende eingestellt, es gibt bezahlte Praktika und weitere flexible Modelle. „Unternehmen bewerben sich heute bei den Kandidaten“, fasst Kleditzsch den Arbeitsmarkt zusammen. „Dazu zählt eine bessere Vereinbarkeit von Arbeit und Privatleben sowie eine veränderte Art und Weise der Zusammenarbeit durch digitale Tools, die weniger Präsenz erfordern.“ Zusätzlich wurden zwei Varianten entwickelt, um vor allem die Altersgruppe über 30 zu erreichen. Zum einen das berufsbegleitende Volontariat als sogenannte*r „Redakteur*in in Ausbildung“ und zum anderen die „Akademie“ für Quereinsteiger*innen.
Einblick in die Freie Presse Akademie
„Heute dürft ihr alle kreativ sein!“ Mit diesen Worten leitete Grit Aurich, Projektleiterin der Akademie, die Unterrichtsstunde ein. Aus 30 Bewerbungen wurden fünf Quereinsteiger ausgewählt, die seit dem 1. November für ein Jahr bei der Freien Presse ausgebildet werden. Zu ihnen gehört auch die 40-jährige Simone Esper, ursprünglich Erzieherin. Ihr Eindruck nach den ersten zwei Wochen: „Unglaublich positiv, wertschätzend. Wir wurden mit offenen Armen empfangen. Man merkt: Wir sind hier gewünscht und es wird Hoffnung in uns gesetzt.“
Die Idee für die Inhouse-Akademie entstand Anfang 2022 und soll im Verlag dabei helfen, neue Wege zu gehen, um den Personalbedarf zu decken. Die ersten vier Monate sind Vollzeit-Theorieunterricht, anschließend sind die Quereinsteiger*innen für zwei Monate Trainees. In den restlichen sechs Monaten sollen sie bereits in Lokalredaktionen eingesetzt werden.
„Die Ausbildung ist auf hohem Niveau und trotzdem nah am Menschen“, findet Simone Esper. „Wir erhalten Einblicke in die Arbeit und erfahren, was alles zur Erstellung einer Zeitung dazugehört.“ Grit Aurich erklärt, dass neben dem Theorieunterricht auch praktisch geübt wird. Aktuell geht es um die Darstellungsformen Nachricht und Bericht.
Bei der Akademie der Freien Presse werden neben dem Theorieunterricht aktuell Berichte für die Advents- und Weihnachtszeit vorbereitet. Bild: Elisa Leimert
Eigene Projekte für Schüler*innen der Deutschen Journalistenschule
Eine Idee, um Journalist*innen in Ausbildung für Lokalredaktionen zu begeistern und ihnen mehr Selbstbestimmung zu ermöglichen, sind die „Regional Fellowships“. In Zusammenarbeit zwischen der Deutschen Journalistenschule DJS in München und Regionalzeitungen bekommen ausgewählte Schülerinnen und Schüler der DJS die Möglichkeit, eigene digitale Projekte in Redaktionen umzusetzen. Der stellvertretende Chefredakteur der Main-Post, Ivo Knahn, sagte in einer Mitteilung der DJS: „Wir sind überzeugt, dass die Zusammenarbeit beide Seiten bereichert: Wir können dem Fellow zeigen, wie relevant und nah am Menschen journalistische Arbeit im Lokalen ist. Der Fellow hat keine Main-Post-Brille auf, deshalb sieht und weiß er ganz andere Dinge als wir.“
Praktikum als Einstieg in den Journalismus
Was bewegt beispielsweise einen 25-Jährigen, Interesse am Lokaljournalismus zu entwickeln? „Mir gefällt die Zusammenarbeit im Team, die Arbeit ist sehr wertschätzend, man bekommt konstruktive Kritik“, meint Daniel Neubert. Er war zum Zeitpunkt seines Gesprächs mit medienMITTWEIDA Praktikant bei einer Lokalredaktion in Norddeutschland. Auch habe er, obwohl er keine fachliche Vorerfahrung hat, schnell Verantwortung übertragen bekommen, durfte selbst recherchieren und Beiträge schreiben.
Ursprünglich hat Neubert evangelische Theologie im Master studiert und zwei Jahre als Jugendpastor gearbeitet. Nun macht er verschiedene Praktika zur Umorientierung. Auf die Frage, was ihm am Beruf des Journalisten nicht gefällt, erklärt der Praktikant: „Mir selbst ist jetzt noch nichts aufgefallen, aber ich kann mir vorstellen, dass die Arbeitszeiten sehr wechselhaft sind.“ Bereits nach vier Wochen im Praktikum konnte Daniel Neubert sich trotzdem vorstellen, später einmal in den Medien oder im Journalismus mitzuwirken.
Die Situation auf dem Arbeitsmarkt ist aktuell gut für anstrebende Journalist*innen. Und es ist wichtig, dass Medien neue Maßnahmen vorantreiben, um Nachwuchs zu finden. „Gute Journalist*innen werden gebraucht“, so Anja Pasquay vom BDZV. „Jetzt müssen wir uns ransetzen und unsere Hausaufgaben machen.“
Text und Bild: Elisa Leimert