Natürliche Familienplanung

Hormonfrei, sorglos, sicher?

von | 20. Januar 2023

Natürlich Verhüten? Ein einfaches Thermometer soll es möglich machen.

„Morgens, wenn ich aufwache, habe ich ein festes Ritual. Noch bevor ich aufstehe, greife ich nach dem kleinen Thermometer neben mir im Nachttischschrank und messe meine Körpertemperatur. Ich gebe zu, manchmal vergesse ich den Wert in meiner App zu notieren oder überhaupt zu messen. Die Methode erfordert schon Disziplin, aber dafür bleibt mein Körper ganz frei von Hormonen“, erzählt Carolin* im Gespräch mit medienMITTWEIDA.

Carolin* verhütet mit der natürlichen Methode. Für sie ist das die beste Entscheidung nach dem Absetzen der Pille. Der Trend zeigt: Immer weniger Frauen nehmen die Pille, da die Sorgen vor möglichen Nebenwirkungen groß sind.

Hormonfreie Alternativen rücken vermehrt in den Vordergrund. Kupferspirale, Kupferkette, Diaphragma oder das klassische Kondom – wer auf Hormone verzichten möchte, hat die Wahl. Dennoch gehört die Pille zusammen mit dem Kondom zu den meistgenutzten Verhütungsmitteln. Etwa 60 Prozent der Befragten einer Studie des RKI gaben dies so an. Weit entfernt davon folgen die Spirale mit etwa drei Prozent und die sonstigen Verhütungsmittel, zu denen auch die natürliche Familienplanung, kurz NFP, zählt. Knapp zehn Prozent der Befragten gaben an, beim letzten Sex gar nicht verhütet zu haben.

Bislang selten genutzt: die NFP-Methode

Der Name „Natürliche Familienplanung“ klingt zunächst irreführend, doch die Methode ist gewissermaßen Familienplaner und Verhütungsmethode in einem. Beides beruht auf der Bestimmung der fruchtbaren Tage der Frau in ihrem Zyklus. Wie Frauen ihren Zyklus optimal nutzen können, liest du hier

Aus den fruchtbaren Tagen lässt sich ableiten, wann verhütet werden muss und wann nicht. Aus einer Vielzahl von NFP-Methoden wird die symptothermale Methode empfohlen, die bei korrekter Anwendung zuverlässig und sicher ist.

Was braucht es also, um mit der natürlichen Verhütung zu beginnen? Ein geeignetes Thermometer, welches über ausreichend Messgenauigkeit verfügt, viel Konsequenz sowie den Willen, sich mit dem eigenen Körper auseinanderzusetzen. Ist all das vorhanden, kann es losgehen.

Ein Thermometer, Konsequenz und ein wenig Schleim

Symptothermal heißt die Methode deshalb, weil die fruchtbaren Tage mittels zweier Symptome erkannt werden: der Basaltemperatur und der Konsistenz des Zervixschleims.

Basaltemperatur und Zervixschleim

Die Basaltemperatur – Aufwachtemperatur – ist die Körpertemperatur einer Frau beim Aufwachen am Morgen. Sie wird durch das weibliche Sexualhormon Progesteron beeinflusst und ist in der ersten Zyklushälfte niedriger als in der zweiten. Die Messung der Basaltemperatur zeigt an, ob ein Eisprung stattgefunden hat.

Der Zervixschleim ist eine natürliche Schutzbarriere der Gebärmutter vor Keimen. Die Flüssigkeit wird von Drüsen im Gebärmutterhals abgesondert und verändert sich im Laufe des Zyklus. An den fruchtbaren Tagen verflüssigt sich der Schleim, damit Samenzellen zur Eizelle hindurch gelangen. Sobald der Eisprung stattgefunden hat, wird der Zervixschleim wieder fester und undurchlässig.

Gemessen wird die Basaltemperatur jeden Morgen direkt nach dem Aufwachen. Der Messort – oral, vaginal oder rektal – wird im Laufe des Zyklus beibehalten. Den gemessenen Wert trägt man dann in einen analogen oder digitalen Zykluskalender ein. Es entsteht eine Temperaturkurve, die gegen Mitte des Zyklus um etwa zwei Zehntel Grad Celsius nach oben ausschlägt. Bleiben die folgenden Messwerte auf diesem erhöhten Niveau, hat der Eisprung stattgefunden.

Der Zervixschleim wird zum Beginn der fruchtbaren Tage kurz vor dem Eisprung flüssiger und klarer. Diese Veränderung wird ebenfalls im Zykluskalender dokumentiert. Nach dem Eisprung verändert sich die Konsistenz des Schleims wieder, er wird zäh und trüb.

NFP funktioniert auch ohne technische Hilfsmittel. Jedoch erleichtern Apps, die speziell für die Methode konzipiert sind, das Auswerten der Ergebnisse. Foto: Luisa Kallauch

Fruchtbar oder nicht?

Sobald NFP-Nutzerinnen den Eisprung mit beiden Symptomen nachgewiesen haben, beginnen die unfruchtbaren Tage. Danach ist eine Schwangerschaft bis zur nächsten Menstruation nicht mehr möglich. In dieser Zeit können Paare auf weitere Verhütungsmittel verzichten.

Zu erkennen, wann die fruchtbaren Tage am Zyklusanfang beginnen, ist schwieriger: Die Zykluslänge kann variieren und der Eisprung verfrüht oder verspätet stattfinden. Hier besteht das größte Risiko für ungewollte Schwangerschaften, da zu diesem Zeitpunkt noch keine Auswertung über den Temperaturanstieg möglich ist. Daher gilt es, seinen Zervixschleim genau zu beobachten und die NFP-Regeln anzuwenden, die sich auf vorangegangene Zyklen beziehen.

Kostenfreie Zyklus-Apps sind kein Verhütungsmittel

Zyklus-Apps wollen Frauen das Leben erleichtern, indem sie die kommende Menstruation und Fruchtbarkeitsphase voraussagen. In den meisten Apps wird nur der Beginn der Periode eingetragen und strikt nach der Standard Days Methode ausgewertet. Die Standard Days Methode geht pauschal davon aus, dass der Eisprung der Frau exakt in der Mitte ihres Zyklus liegt – ungeachtet davon, dass Schwankungen sehr häufig auftreten. Frauenärztin und Autorin Dr. Med. Dorothee Struck warnt in einem Interview mit *COCO BERLIN“ vor diesen überwiegend kostenfreien Apps, die Messwerte der Körpertemperatur und der Schleim-Konsistenz nicht miteinbeziehen. Die Algorithmen der Apps seien keine Verhütungsmethode, die in der westlichen Kultur Gebrauch finden könne, sagt sie.   

„Eine kluge Frau mit einem Fünf-Euro-Thermometer […] schlägt die Pille in der Gebrauchssicherheit um Längen“, so das Fazit von Dr. Med. Dorothee Struck. Die Frauenärztin weist darauf hin, dass die Gebrauchssicherheit der Pille stark vom angegebenen Pearl-Index abweiche. „Das tägliche Leben ist bunt und chaotisch. Da gehören Vergesslichkeit, Krankheiten und Medikamenteneinnahmen dazu“, sagt sie. Die Pille sei daher genauso störanfällig.

Eine Studie des Universitätsklinikums Heidelberg belegt zur Sicherheit der NFP-Methode: Die Werte schwanken ebenso je nach Konsequenz, in der die NFP-Regeln beachtet wurden. Von 100 NFP-Anfängerinnen waren nach einem Jahr 1,8 Frauen statistisch berechnet ungewollt schwanger. Bei Paaren, die während der fruchtbaren Tage zusätzlich ein Kondom verwendeten oder auf Sex verzichteten, lag dieser Wert bei 0,6. In der Medizin spricht man von einer hochsicheren Verhütungsmethode, da der Wert unter eins liegt.

Hochsicher, aber auch praktisch?

„Ich vertraue Carolin* mit der NFP-Methode. Ich finde es gut, dass sie sich so viel mit ihrem Körper auseinandersetzt. Wir sprechen immer sehr offen über Verhütung, und wenn sie in ihrem fruchtbaren Fenster ist, müssen wir zusätzlich verhüten – ich fühle mich dafür natürlich genauso verantwortlich wie sie.“
Robert*, Freund von Carolin*

Ein Nachteil der Methode: Sexuelle Aktivitäten müssen sich nach dem Rhythmus der fruchtbaren und unfruchtbaren Tage richten. Zusätzlich müssen andere Verhütungsmethoden, wie zum Beispiel ein Kondom, verwendet werden. Außerdem kann die Messung der Basaltemperatur durch Krankheiten, Schlafmangel, Stress oder Alkoholkonsum beeinflusst werden. Diese Messfehler müssen zwingend in der Auswertung beachtet werden.

Im Gegensatz dazu bietet die Methode eine natürliche Verhütung ohne äußere Einflüsse: keine Hormone, keine Präparate, keine chirurgischen Eingriffe. Das eigene Körpergefühl und Selbstbewusstsein können dabei gestärkt werden. Außer der Anschaffung eines Thermometers fallen bei der Methode so gut wie keine Kosten an. Ob die Methode für die eigene Verhütung geeignet ist, muss jede Frau selbst entscheiden. Denn es bedarf Geduld und etwas Zeit, um sich mit NFP auseinanderzusetzen und diese sicher anzuwenden. Nach einer Weile tritt aber auch mit dieser Methode Routine ein, und das morgendliche Temperaturmessen verläuft fast von ganz allein.

*Name geändert

Text, Titelbild und Foto: Luisa Kallauch

<h3>Luisa Kallauch</h3>

Luisa Kallauch

ist 22 Jahre alt und studiert derzeit im 5. Semester Medienmanagement an der Hochschule Mittweida. Bei medienMITTWEIDA engagiert sie sich seit dem Wintersemester 2022/23.