Auf Engagierte in der Studienzeit muss sie zählen: Nicole John, Vorsitzende des Kinderklinkkonzerte e.V. Mit bereits 19 Jahren beschließt sie, Konzerte in Krankenhäusern zu organisieren, sich für Kinder zu engagieren und später selbst einen Verein zu gründen. Heute arbeitet die Dresdnerin mit Musikstars wie Max Giesinger und Nico Santos zusammen. Das Publikum: Keine kreischende Menschenmasse, sondern Kinder, die gerade nicht viel zu lachen haben. Im Interview mit medienMITTWEIDA erklärt die inzwischen 28-Jährige, welcher Aufwand hinter einem Kinderklinikkonzert steckt und warum Engagement ihr so wichtig ist.
Frau John, wie kamen Sie überhaupt auf die Idee, Kinderklinikkonzerte zu veranstalten?
Nicole John: Durch meine Arbeit im Rettungsdienst als Notfallsanitäterin. Als ich dort 2010 noch gelernt habe, hatten wir einen Einsatz, bei dem wir ein kleines Mädchen mit einer Hirnblutung in eine Spezialklinik verlegen mussten. Da startete innerlich das Gedankenkarussell: „Sie wurde von der einen auf die andere Minute aus ihrer gewohnten Umgebung rausgerissen.” Gleichzeitig habe ich mir überlegt, was man für sie tun könnte. Da kam mir schnell der Gedanke, dass Musik ihr helfen würde.
Ein Jahr später haben wir dann unser erstes Konzert zusammen mit einer uns bekannten Dresdner Band auf der Kinderkrebsstation organisiert. Damals war aber noch nicht so wirklich klar, was daraus wird. Wir dachten, das sei eine einmalige Sache.
Foto: Kinderklinikkonzerte e.V.
Nicole John, geboren 1991, arbeitet als Notfallsanitäterin. Während ihrer Lehrzeit ruft sie das Projekt „Kinderklinikkonzerte” ins Leben. Im Frühjahr 2015 gründet sie gemeinsam mit Nadja Benndorf den gleichnamigen Verein. Die Dresdnerin, die inzwischen in Magdeburg lebt, veranstaltet 2011 in Dresden das erste Kinderklinikkonzert, 2019 organisierte ihr Verein zum ersten Mal eine Deutschland-Tour. Sie wurde unter anderem 2014 mit dem Jugendengagement-Preis Sachsen Anhalts und mit dem Preis der GOLDENEN BILD der FRAU 2018 ausgezeichnet.
Wie seid ihr schlussendlich so bekannt geworden, dass inzwischen erfolgreiche Künstler wie Johannes Oerding oder Revolverheld eure Konzertgäste sind?
John: Zwei Jahre und zwei Konzerte später organisierten wir 2013 das erste Konzert in meinem neuen Wohnort Magdeburg. Kurz darauf haben wir den Jugendengagement-Preis des Landes Sachsen-Anhalt gewonnen – unser erster Preis. Das war die Initialzündung. Wir hatten somit 1000 Euro Startkapital. Daraufhin haben wir Revolverheld angefragt und nach 20 Minuten die Rückmeldung bekommen, dass sie unser Projekt toll fänden. Ein halbes Jahr später, im November 2014, waren die Jungs dann bei uns. Zwischenzeitlich haben wir alles auf den Weg gebracht, um einen Verein im Januar 2015 gründen zu können.
Nach Revolverheld und der Vereinsgründung haben wir einfach weiter gemacht. Dass Revolverheld ordentlich die Werbetrommel für uns gerührt hat, hat uns natürlich Türen geöffnet. Je mehr Musiker bei uns gespielt haben, desto schneller hat sich unser Projekt rumgesprochen.
Am Ende sieht der Großteil der Menschen nur die süßen Fotos auf Instagram und Co. Wie viel Arbeit steckt wirklich dahinter?
John: Dahinter steckt eine wahnsinnige Organisationsphase. Das geht teilweise schon ein halbes Jahr vor dem Konzert los. Wir müssen als erstes mit den Kliniken sprechen und sie vor Ort besuchen. Da geht es auch viel um Versicherungsthemen, die man klären muss. Außerdem bekommt jedes Kind nach dem Tag eine Geschenktüte, die von Sachspendern gefüllt wird, die wir natürlich erst anfragen müssen.
Auch das Fundraising ist ein großes Thema. Das findet im Vorfeld statt, weil wir das Geld brauchen, um die Konzerte zu organisieren. Obwohl die Künstler auf ihre Gage verzichten, das Budget wird für Reisekosten unseres Teams, Bühnenaufbau, Versicherung und Catering gebraucht – was man eben auch alles im Vorhinein organisieren muss. Auf unserer ersten Tour dieses Jahr waren es zusätzlich andere Themen wie Routen- und entsprechend Personalplanung.
Am Konzerttag selbst brauchen wir zwischen zehn und 20 Leuten pro Konzert, vor allem, wenn wir von Station zu Station ziehen. Wir haben 27 aktive Mitglieder von denen natürlich nicht jeder immer kann.
Ihr habt auf eurer Website ein ausführliches Anforderungsprofil für neue Mitglieder, das beinhaltet, dass man nicht auf ein Treffen mit Stars aus sein sollte. Habt ihr da schlechte Erfahrungen gemacht?
John: Ja, leider und das nervt dann auch. Wenn du die Leute beobachtest und merkst, dass es denen gar nicht um die eigentliche Sache geht, ist das sehr schade. Die erkrankten Kids sollen im Vordergrund sein. Außerdem ist es leider auch extrem gefährdend für unseren Verein. Wenn die Künstler das (die falsche Motivation, Anm. d. Red.) mitkriegen, stehen wir total schlecht da. Wir brauchen Leute, die ehrlich Lust haben, sich ehrenamtlich zu engagieren und was für die Kinder zu tun.
Sechs Studierende sind derzeit im Verein aktiv und helfen unter anderem beim Packen und der Ausgabe der Geschenktüten mit. Fotos: Andreas Lander & Sarah Kaiser/Kinderklinikkonzerte e.V. und Kinderklinikkonzerte e.V.
Warum ist ehrenamtliches Engagement, im Speziellen von Studierenden, für euren Verein essentiell? Welche Motivation steckt dahinter?
John: Gerade wenn man in einem sozialen Studiengang ist, möchten die Studierenden bei uns wichtige Praxiserfahrungen sammeln. Sie haben bei den Konzerten viel mit Kindern in den unterschiedlichsten Lebenssituationen zu tun und kommen so auch einfach mal raus aus der Uni. Außerdem sind wir sehr flexibel, was Arbeitszeiten betrifft.
Ich bin pro Monat 100 Stunden im Büro, 40 davon bekomme ich durch meine Minijobstelle bezahlt – wie meine Vorstands-Partnerin Nadja und unsere Assistentin auch. Die anderen 24 Mitglieder arbeiten alle vollständig ehrenamtlich. Die brauchen wir unbedingt. Zum Beispiel für Blogbeiträge, die Social-Media-Betreuung, zum Geschenktüten packen oder um sich um die Spenden zu kümmern. Das ist ein riesiger Aufwand, den man betreiben muss. Wir haben sehr viele Termine spontan unter der Woche, die für Studierende oft einfacher einzuplanen sind als für jemanden, der einen Job von Montag bis Freitag hat.
Warum sollten sich Studierende in einem gemeinnützigen Verein wie Ihrem engagieren?
John: Ich glaube, jeder kann etwas von sich weitergeben. Wir versuchen auch zu beweisen, dass es nicht immer darum geht, wie viel Geld oder Zeit jemand hat. Vielleicht ist es auch gut, wenn jeder mal an den anderen denkt und nicht dafür bezahlt wird. Das gibt einem so viel. Sich zu engagieren – egal in welchem Verein – macht auch glücklich.
Unsere Gesellschaft funktioniert nur, wenn wir ehrenamtlich arbeiten
und wenn es Menschen gibt,
die nicht immer eine Gegenleistung für ihr Handeln haben wollen.
Vielleicht ist es auch gut, wenn jeder mal an den anderen denkt
und nicht dafür bezahlt wird.
Nicole John
Vorsitzende Kinderklinikkonzerte e.V.
Es ist ein Zusammenhalt da, es entstehen Freundschaften. Unsere 17 Leute aus dem diesjährigen Tour-Team werden Erinnerungen mit sich herumtragen, die sie später ihren Enkelkindern erzählen werden. Dieses Über-den-Tellerrand-Schauen, gerade bei Vereinen wie unserem, erdet einen manchmal auch und macht Alltagsprobleme wie Staus oder kleine Streits unwichtiger. Ich glaube, dieses Engagement ist wichtig, um das eigenes Leben besser wertschätzen zu können.
Was möchten Sie mit Kinderklinikkonzerte e.V. noch erreichen?
John: Ich möchte das Ganze auf eine noch sicherere finanzielle Basis stellen. Es ist wirklich so, dass wir jedes Jahr überlegen, ob es so weitergehen kann und ob wir genug Spenden bekommen haben. Es wäre schön, wenn dieses finanzielle Fundament nicht mehr so wackeln würde und wir beispielsweise einen Dreijahresplan aufstellen könnten. Ich hätte gerne ein, zwei Leute mehr mit einer Minijob-Stelle. Der Bürokratieaufwand wird leider immer größer. Natürlich möchte ich, dass es noch ganz lange so weitergeht und wir die Bundesländer, in denen wir noch nicht waren, auch abarbeiten können. 2021 haben wir zehnjähriges Jubiläum. Ich hätte niemals gedacht, dass das alles so gut läuft.
Als Künstler konnte Nicole John unter anderem Revolverheld, Nico Santos, LEA, Lotte, Antje Schonmaker, Max Giesinger, Johannes Oerding und Wincent Weiss für ein Kinderklinkkonzert buchen. Fotos: Sarah Kaiser und Andreas Lander/Kinderklinikkonzerte e.V.
Was war bisher Ihr schönster Kinderklinikkonzerte-Moment?
John: Es gibt für mich zwei schöne Momente: Der eine war, dass wir ein Mädchen beim Silbermond-Konzert so glücklich gemacht haben, dass sie anfing zu weinen. Wir sind dann hin und haben gefragt, ob wir ihr helfen könnten und sie sagte: „Nein, ihr habt mir gerade meinen größten Traum erfüllt. Ich habe eigentlich Konzertkarten für das Silbermond-Konzert an diesem Abend gekauft und ich war so traurig, dass ich nicht hingehen konnte, da ich im Krankenhaus bin. Und jetzt sind sie hier.” Das war ein sehr bewegender Moment, weil das natürlich einer der Gründe ist, warum wir Konzerte für die Kids veranstalten.
Der andere schöne Moment war, als wir 2017 mit Max Giesinger in Hamburg waren. Da hat man gesehen, was wir außerdem mit den Kinderklinikkonzerten erreichen – zu zeigen, was die Musik für eine Wirkung hat. Max hat bei einem kleinen Jungen am Bett „Wenn Sie Tanzt“ gespielt, um den sich viele Sorgen gemacht haben, weil er nach einer Operation ewig nicht aufstehen wollte. Wir haben dann nach dem Konzert ganz normal abgebaut und aufgeräumt und trafen dann den Papa mit dem Jungen im Foyer der Klinik. Der Papa hat sich bei uns bedankt, denn nach dem Song von Max habe der Kleine wohl gesagt: „Papa, ich möchte jetzt aufstehen und tanzen.” Ich bekomme immer noch Gänsehaut, wenn ich davon erzähle. Was gibt es Schöneres, als die Wirkung von Musik so gezeigt zu bekommen?
Text: Annika Braun, Titelbild: Andreas Lander/Kinderklinik e.V., Fotos: Sarah Kaiser, Andreas Lander und Thomas Sasse/Kinderklinikkonzerte e.V., Video: YouTube/Kinderklinikkonzerte e.V.