Sportliche Leistung und Leidenschaft
Grenzen erfahren
Fünfmal Ironman Hawaii, zweimal mit dem Rad durch Amerika. Von Eindrücken und Trophäen, die für immer bleiben. Titelbild: Stephan Loew
Es ist Sonntag, Sommer 1986. Die Sonne scheint, der Fernseher läuft. Die Fußballnationalmannschaft spielt im WM-Endspiel gegen Argentinien. Stephan Loew ist zu Besuch bei seinen Eltern, zusammen sitzen sie auf dem Sofa. Dass Karl-Heinz Rummenigge und Rudi Völler in der zweiten Halbzeit zwei Tore erzielen, bekommt er allerdings nicht mehr mit. Ihm wird schlecht: „Ich muss mich hinlegen“, sagt er zu seiner Mutter. Zwei Stunden später wird er in ein Krankenhaus eingeliefert, verliert innerhalb einer Nacht sechs Kilogramm.
„Ausschlaggebend war ein Mückenstich.“ Ein Mückenstich, der Stephan Loew während einer Thailand-Reise mit Malaria Tropica infiziert. Er überlebt. Danach schiebt er nichts mehr auf die lange Bank, setzt seine Träume in die Tat um. Heute führt er ein Triathlonfachgeschäft und berät andere Sportler beim Training. Laufschuhe hier, Neoprenanzug da, Zeitfahrrad dort. Im Obergeschoss eine Werkstatt und ein Ergometer zur Leistungsdiagnose. Pokale und Bilder erinnern an seine sportliche Vergangenheit. „Hier im Treppenaufgang soll mal meine eigene Hall of Fame hin!“
Strahlend und zufrieden – so blickt Loew auf seinen bisherigen Lebensweg zurück.
Foto: Johannes Zrenner
Gerne erinnert Loew sich zurück: Mit großen Augen habe er vor dem Fernseher gesessen. „Im Aktuellen Sportstudio waren die ersten deutschen Teilnehmer des Ironman Hawaii zu Gast.“ Ein Triathlon? „Das wär’ der Hammer.“ Einziges Manko: Stephan Loew ist Nichtschwimmer. Und auch auf dem Fahrrad hat er bis dato keinen einzigen Meter zurückgelegt. 30 Jahre später hängt Loews Triathlonrad zu einer Sonderausstellung im Deutschen Verkehrsmuseum in München: „Darauf bin ich wirklich stolz“, sagt er.
Anfang 1987, die letzte Zigarette ist geraucht, er beschließt: „Ich mach’ jetzt Triathlon!“ Stephan Loew besucht das Schwimmtraining des örtlichen Sportvereins. „Nach 20 Minuten war ich schon völlig bedient, bin aus dem Wasser und nach Hause. Den ganzen Winter ging das so, aber der Ehrgeiz war geweckt.“ Das habe sich ausgezahlt. Drei Jahre später qualifiziert sich Loew erstmals für den Ironman Hawaii: 3,8 Kilometer Schwimmen, 180 Kilometer Radfahren, danach 42 Kilometer Laufen – am Stück, ohne Pause.
Vier weitere Male läuft Loew durch das Ziel auf Hawaii. Einmal bricht er ab, denn „da ist immer Wind!“ Schließlich ist man mitten im Pazifik. „Und wegen der Fallwinde, die vom Vulkan herunterkommen“, weiß Loew. So kämpft er auf 120 Kilometer der Rennradstrecke nicht nur gegen den Wind und die Uhr, sondern auch gegen sich selbst – und verliert.
Stephan Loews Rad war stets ein treuer Begleiter. Foto: Johannes Zrenner
Der erste Abbruch
„Du startest mit einer gewissen Vorstellung. Und wenn du dann während des Wettkampfes merkst, dass du deine Vorstellungen nicht erfüllen kannst, wird es schwer, sich zu motivieren. Dann schaffst du die Zeit nicht, die du dir vorgenommen hast.“ Deprimiert habe er in der Wechselzone gesessen. Gefehlt habe ihm zwar nichts, abgebrochen habe er aber trotzdem. „Nur Kopfsache“, analysiert Loew später.
Gegen die Wellen im Pazifik anschwimmen, in windschlüpfriger und geduckter Haltung im Sattel sitzen, danach einen Marathon laufen. Das sei anstrengend, aber er spüre keinen Schmerz: „Das unterscheide ich. Wenn ich mir mit dem Hammer auf den Finger hau’, dann tut das weh.“ Einen Triathlon zu bestreiten, ist anstrengend. „Die Euphorie beim Finishen überwiegt!“, referiert Loew – und wird unterbrochen: Die Glocke der Ladentür klingelt.
Ein Mann mittleren Alters betritt den Laden. „Das ist der Wolfgang“, stellt Loew den Besucher vor. Sein linker Ärmel ist in die Jacke gesteckt. Bei einem Unfall verlor er den Arm, nicht aber seinen Lebensmut. Im Gegenteil, im vergangenen Jahr radelt er zum Nordkap: „3424 Kilometer in 16 Tagen, ohne Verpflegung und Begleitung! Ganz alleine!“ Wolfgang verkündet das voller Stolz und fügt an: „Der Stephan baut mir immer meine Räder um, alles auf die rechte Seite.“ Ein Gleichgesinnter. Ein Sportverrückter.
Zusammen mit ihm und zwei weiteren Sportlern fuhr Stephan Loew 2012 mit dem Rennrad durch Amerika. Foto: HaBa Team GHOST
Betreut wurden die bayerischen Radfahrer von einem Begleitteam aus Hamburg. „Teamsprache Englisch“, scherzt Loew und fügt hinzu: „Wir mussten uns um nichts kümmern, haben uns in den zwei Jahren Vorbereitungszeit nur aufs Sportliche konzentriert.“
Dabei wurde sogar in der Sauna trainiert, verrät Loew. „Um zu sehen, wie der Körper auf Hitze reagiert.“ Foto: HaBa Team GHOST
Im Juli 2012 ist es dann soweit. Die Uhren werden umgestellt: Ab sofort hat der Tag nur noch 18 Stunden. Neun Stunden Radfahren, die restlichen neun Essen, Massage, Duschen, Schlafen. Gefahren wird in Zweier-Teams, so muss jeder Einzelne maximal eineinhalb Stunden im Sattel sitzen, danach wird gewechselt. „Da kannst du Vollgas fahren, ohne dass die Regenerationszeit zu lange wird.“
Zwei Jahre später tritt Loew wieder in Oceanside, Kalifornien an. Mit alten Bekannten, aber auch neuen Gesichtern im Team. Die Zeit übertrumpfen, schneller sein, das ist das Ziel. „Wir haben länger gebraucht, die Strecke war aber auch knapp 100 Kilometer länger.“
Sechs Tage, sechs Stunden. Durchschnittsgeschwindigkeit: 32 Kilometer pro Stunde. Video: Das Onetz
Ein neuer Versuch
Diesmal ist das Begleitteam größer, die Fahrerwechsel laufen reibungsloser und schneller: „Da spart man ein paar Minuten.“ Für diese paar Minuten Zeitersparnis investiert das Team in ein drittes Begleitfahrzeug, übt im Vorfeld die Fahrerwechsel.
Doch kurz vor Flagstaff, im Bundesstaat Arizona scheint die herausgefahrene Zeitersparnis dahin. Eine Schraube bohrt sich in den Reifen des Begleitfahrzeugs. Zwangspause. Denn die Radler dürfen ohne Begleitung nicht weiterfahren. Die Uhr tickt, wertvolle Zeit geht verloren. Das Team wird hektisch, fragende Gesichter: Wo ist das Reserverad?
„Wir tanzten alle um das Auto, konnten den Reifen aber nicht finden“, erinnert sich Loew. Ein Einheimischer habe dann das Geheimnis gelüftet: „Mittelkonsole auf, kurbeln, und: Plumps – Reserverad. Wir hatten uns vorher nicht informiert, das war ganz klar unser Fehler“, postuliert Loew. „Aber dann ging’s ruckzuck!“
Ein paar Momente später, das Begleitfahrzeug fährt gerade auf den Highway auf. Loew sitzt auf der Rücksitzbank, die Fenster runtergekurbelt. „Ein älteres Ehepaar fährt auf unsere Höhe. Es wird gehupt, gewunken, wild gestikuliert.“ Das Auto kommt näher und näher. Die Dame auf dem Beifahrersitz streckt den Arm aus dem Fenster, „und drückt mir einen 100-Dollar-Schein in die Hand, einfach so. Den Schein hab ich heute noch.“ Loew zeigt auf das Fensterbrett. Da liegen sie, die 100 Dollar einer unbekannten Begeisterten. Daneben die auf Hochglanz polierten Medaillen. „Und für dieses Stück Metall macht man das – verrückt.“
Viele solcher Medaillen konnte Loew im Laufe der Jahre ansammeln. Foto: Johannes Zrenner
Loew gibt zu: Er ist ruhiger geworden, nicht zuletzt wegen seiner Frau. „Ich bin nicht mehr getrieben, hab mir meine Träume erfüllt.“ Und er habe sich sein Hobby zum Beruf gemacht: „Jetzt helfe ich Anderen, ihre Träume zu erfüllen. Das macht mir Spaß, das ist erfüllend.“ Seine Augen leuchten, er wirkt zufrieden. Und er fügt an: „Außerdem platzt mein Keller aus allen Nähten – vor lauter Pokalen, Medaillen und Finisher-Shirts.“
Text: Johannes Zrenner, Titelbild und Fotos: Stephan Loew, HaBa Team GHOST, Johannes Zrenner, Video: Das Onetz