Nachtleben

Grenzenlos durch die Nacht

von | 28. September 2019

Wenn Nächte zu Tagen werden. Ein Einblick in die Techno-Kultur.

Techno-Kultur

Grenzenlos durch die Nacht

28. September 2019

Als Barkeeper wird sich nicht nur um Getränke gekümmert. Titelbild: Benjamin Agsten

Eigentlich wäre ich jetzt wieder wach. Die kalte Luft brennt mir im Gesicht. Grelle Lichtstrahlen bringen meine Augen zum tränen. Nur verschwommen nehme ich den weißen Streifen wahr, der mich in die richtige Richtung leitet. Die Gleise neben mir vibrieren immer stärker. Meine schweren Beine treten mit letzter Kraft in die Pedale. Noch könnte ich es schaffen. Noch könnte ich meinen trägen Körper nach Hause fahren lassen. Es ist elf Uhr morgens und ich bin seit 26 Stunden auf den Beinen.

„Alles fit für die Nacht?“

Schlaf? Fehlanzeige. Aber das ist nichts Neues. Eine kalte Dusche wird es richten. Ich schrecke zusammen, als das eisige Wasser meine Haut berührt. Das Adrenalin schießt durch meinen Körper. Per Kickstart in die Nacht. Ein heißer Kaffee, zwei sättigende Brötchen mit Avocado und Omelette.

Klick – Klick. Das Startzeichen für den Abend. Meine Rennradschuhe krallen sich in die Pedale meines alten Peugeot-Rennrades. 25 Minuten durch die Kälte der Stadt. Durch bereits laufende Partys. Ab ins Wohnzimmer, wie es liebevoll genannt wird. Eine 20 Meter lange Schlange empfängt mich. Sie passt sich der Dunkelheit der Nacht an. Fast alle sind komplett schwarz gekleidet. Atemwolken steigen in der Kälte empor. Sie sind kaum zu unterscheiden von den Schwaden aufsteigenden Zigarettenrauchs. Ich gehe entschlossen an den wartenden Leuten vorbei. Einige beschweren sich, ich solle nicht vordrängeln. Beherzte Schläge gegen die schwere Stahltür. So macht man das hier. Seit zwei Jahren verschaffe ich mir so fast jedes Wochenende Zutritt. So auch an diesem Samstag. Es ist 1:30 Uhr und in einer halben Stunde beginnt meine Schicht. Ich heiße Till, bin 21 Jahre alt und Barkeeper in einem deutschen Techno-Club.

Mindestens zwei Meter groß und deutlich breiter als ich es je sein werde, steht einer unserer Türsteher vor mir. Schwarz gekleidet – wie alle. Er lächelt, umarmt mich und begrüßt mich mit den Worten: „Na Till, alles fit für die Nacht?“ Er strahlt die gleiche Wärme aus wie unser Eingangsbereich. Ein kleiner Anbau aus schroffen Ziegelsteinen. In einer Ecke steht ein Schwedenofen, dessen loderndes Feuer jedem ankommenden Gast ein häusliches Gefühl vermittelt. In der anderen Ecke schließe ich mein Fahrrad an. Daneben stehen bereits zahlreiche Getränke, die Gäste mit hereinnehmen wollten. Beim nächsten Mal klappt es bestimmt. An der Kasse sitzt die gleiche Person wie immer, Frida. Sie hat kurz geschorene Haare, ist vom Hals abwärts tätowiert und ihre Ohrlöcher haben einen Durchmesser größer als gewöhnliche Flaschendeckel. Küsschen links, Küsschen rechts. Ich zünde eine Zigarette an, verabschiede mich und wünsche den beiden eine entspannte Nacht.

Ein Bollwerk aus Jacken

Durch zwei hölzerne Schwingtüren, deren Quietschen mich schon immer etwas nervt, gehe ich in unseren Innenhof. Selbstgebaute Tische, Stühle, eine kleine Bar und die Grillecke begrüßen mich. Die Bässe von drinnen sind über den Boden zu spüren. Es ist kalt, deshalb bin ich der Einzige hier.

Im Sommer sieht das ganz anders aus: Da sind die Barschichten draußen immer etwas ganz Besonderes. Der ganze Hof ist voll mit Gästen. Eine ausgelassene Stimmung füllt den freien Raum. Man kommt mit vielen Leuten ins Gespräch, während die laue Sommerluft die Klänge der Musik nach außen trägt. Wenn die Sonne dann morgens aufgeht, zücken alle ihre Sonnenbrillen, hängen in den Liegestühlen und genießen sichtlich den Moment.

Doch unter Anbetracht der Kälte nehme ich zwei Züge meiner Zigarette und steige drei Stufen nach oben. Auf der kleinen Terrasse drehe ich mich um und genieße noch einmal die Stille. Durch eine weitere schwere Stahltür, die vor lauter Graffitis und Stickern als solche kaum noch erkennbar ist, gehe ich in den Vorraum des Hauptgebäudes. Hier stehen sie, die feierwütigen Leute. Der vielleicht zehn Quadratmeter große Raum ist zum Bärsten gefüllt. Die Luft ist stickig und warm. Fast schon zu viel des Guten. Hinter einem kleinen Fenster sitzt einer meiner besten Freunde. Paul. Entspannter Hip-Hop läuft aus der kleinen Anlage, die in seiner Garderobe steht. Auf dem Tresen ein kleiner Heizstrahler. Ich kämpfe mich durch die Massen, um ihn zu begrüßen. Lockere Klamotten, ein straff gebundener Zopf und ein breites Grinsen begrüßen mich da. Hinter ihm ist ein Bollwerk aus Jacken und Taschen zu sehen. Bis auf drei Meter Höhe hängen sie da. „Boah, wie ich Winter hasse. Das ist so stressig. Was müssen die auch alle so viele Klamotten haben?“ Das sind die Worte, die er mir äußerst ironisch zuruft, während er mich, durch das Fenster gelehnt, umarmt. „Kann ich vielleicht ein Zügchen von deiner Kippe haben?“ Grinsend gebe ich ihm meine Zigarette. Zufrieden legt er seinen Kopf in den Nacken und pustet den Rauch in die Luft. Er gibt mir meine Zigarette wieder und wendet sich den nächsten Gästen zu, die etwas ungeduldig auf uns schauen.

Das erste Mal

Im Club erwartet mich ein langer schwarzer Gang. Wummernde Bässe. Luft, die nach Schweiß, Zigaretten und umgekippten Drinks riecht. Das gibt mir sofort dieses Gefühl von Familie, Freiheit und bedingungsloser Akzeptanz. Durch diesen Geruch gerät die Außenwelt in Vergessenheit. Am Ende des mit Nebel durchzogenen Ganges entdecke ich meinen Platz. Die Bar. Durch die Menschenmassen hindurch, die ihren Durst stillen wollen, sehe ich meine Kollegen, wie sie rumalbern und tanzen. Nebenbei arbeiten sie. So kann es gehen.

Von Weitem winke ich Marie zu, damit sie mir die Tür für unseren Personalraum öffnet. Marie ist heute die CvD, Chefin vom Dienst. Doch das Gefühl, in einer bestimmten Hierarchie zu arbeiten, gibt es bei uns nicht. Sie öffnet mir die Tür. Ein freudiges Lächeln und eine starke Umarmung ziehen mich hinein. Links von der Tür sind schon ein paar volle Leergut-Kästen gestapelt. Es sieht so aus, als wären die Gäste heute durstig.

In genau diesem Raum stand ich auch vor zwei Jahren schon, vor meiner ersten Schicht. Ich war sehr aufgeregt, weil ich unbedingt in diesem Club arbeiten wollte. 2015 habe ich das erste Mal auf einem Festival mitgearbeitet, das auch von unserem Club organisiert wird. Mein bester Freund Tim, der mittlerweile seit fast fünf Jahren hier arbeitet, hat mich damals eingeladen. Die Stimmung unter den Leuten, die Arbeit an der Bar und das Gefühl, im Team solche enormen Leistungen über so einen langen Zeitraum zu erbringen, war für mich sehr besonders. Es hatte auf mich eine magische Anziehung. Später wurde ich zum Stammgast hier. Durch meine mehrfache Arbeit auf dem Festival kannte ich schon viele Leute aus dem Club, was mir den Einstieg ermöglicht hat. Auf einmal stand ich hier, in diesem Personalraum zu meiner ersten Schicht. Heute ist diese Aufregung nicht mehr vorhanden. Ich bin auch nicht nervös. Es herrscht nur eine Vorfreude und Spannung, wie der Abend laufen wird. Natürlich gibt es auch den einen oder anderen Abend, an dem man lieber selber feiern gehen würde oder auch einfach mal nur zuhause entspannen. Sobald ich aber einmal hier bin und die Stimmung aufgreife, verschwinden diese Gedanken sehr schnell.

So ist es auch an diesem Abend. Meine Müdigkeit gerät in vollkommene Vergessenheit, als ich an die Bar gehe. Auf der linken Seite steht alles, was für die Zubereitung benötigt wird. Gläser, Eis, Spirituosen, „Grünzeug“, wieder Gläser. Daneben stehen zwei Bildschirme, unser Kassensystem. Kleine Bildchen stehen für entsprechende Getränke. Auf der Seite zum Gast befinden sich die Schübe. Von Wasser über Säfte bis hin zum Bier. Alles, was das Raver-Herz begehrt, finde ich hier. In der Mitte tummeln sich meine Kollegen. Marie, Pascal und Georg. Die letzten beiden sind ein Pärchen. Das wahrscheinlich coolste Pärchen, das ich kenne. Die beiden kommen gleich zu mir. Georg in gewohnt kurzer Hose und Tanktop mit mehr Ausschnitt als Stoff. Beide umarmen mich, auch der obligatorische Kuss auf den Hals ist dabei. Das war zu Beginn sehr befremdlich. Heute schätze ich diese Offenheit. Das ist Techno. Georg und ich verquatschen uns. Die Zeit muss sein. Eine goldene Glocke, die links an der Wand befestigt ist, klingelt. Persoschnaps. Sobald jemand kommt oder geht, gibt es ihn. In diesem Fall ist es mein Begrüßungsschnaps.

Zwischen „Persoschnaps“, Mate und Sake gibt es auch ab und zu mal Wasser. Foto: Benjamin Agsten

Die meisten Gäste haben dafür großes Verständnis und müssen nur grinsen, wenn sie die Glocke hören. 

„Es ist nicht stressig, solange du dich nicht stressen lässt“

Ich reihe mich ein, Georg macht die linke Ecke, „die Fankurve“ für Stammgäste, Pascal daneben, Marie in der Mitte, ich rechts. Mein erster Gast des Abends: „Ein Gin Tonic, eine Vodka-Mate und zwei Gisela bitte.“ Intuitiv ordne ich die Bestellung in meinem Kopf nach Laufwegen und Zeit. Der erste Griff geht nach links unten zur Mate. Diese stelle ich ihm zum Abtrinken hin und nicke ihm dabei zu. Das dauert erfahrungsgemäß am Längsten. Daraufhin ein beherzter Griff zu den Schnapsgläsern, kurze Drehung zum Schnaps. Zwei Gisela, et voilà. „Für den schnellen Durst“, sage ich schmunzelnd zu ihm. Er lächelt, seine Mate immer noch ungeöffnet. Jetzt geht es routiniert weiter. Glas schnappen. Drei Eiswürfel rein. Vier Centiliter Gin nach Gefühl aus dem Handgelenk gießen. Bereits vorgeschnittene Gurken dazu. Einmal umdrehen zur Front. Tonic Water drauf. Fertig. Vodka-Flasche für die Mate nicht vergessen. Ich gebe ihm seinen Gin Tonic, er mir seine Mate. Während ich diese auffülle, sage ich: „19,40 mit Pfand bitte.“ Er gibt mir 25 Euro und sagt: „22“. Ich lächle ihn an, drehe mich kurz um, gebe die Getränke kurz in die Kasse ein. Passt alles. Ich gebe ihm sein Geld und seine Pfandmarken und bedanke mich bei ihm. Das Trinkgeld kommt in eine kleine Box. Direkt bin ich im Flow und alles geht wie von allein. So wird Gast für Gast abgearbeitet, bis die Bar kurzzeitig leer ist. Zeit zum Auffüllen und Putzen. Denn es gibt nie nichts zu tun.

Während meiner Anfangszeit war ich unglaublich begeistert davon, dass sich niemand an der Bar stressen lässt, egal wie voll es ist. Mein bester Freund Tim meinte nur eines Tages zu mir: „Es ist nicht stressig, solange du dich nicht stressen lässt.“ Rückblickend ist das der beste Hinweis, den er mir geben konnte. Hinzu kommen noch ein paar kleine Tricks.

Jedes Bar-Team muss ein System haben. So hat jeder einen eigenen Abschnitt und arbeitet sich in diesem von links nach rechts durch. Ist man rechts angekommen, geht es links wieder weiter. So kann kein Chaos entstehen. Des Weiteren halte ich keinen Augenkontakt zu irgendwelchen Gästen, während ich bereits einen bediene. Sobald das passiert, fühlt sich der Gast angesprochen und will bestellen. Das Wichtigste ist, dass Menschen, die der Meinung sind, rufen oder winken zu müssen, länger warten dürfen als die Anderen.

Robag Whrume, der Headliner der Veranstaltung, hat Durst. Er trinkt nur Sake. Ich gehe also von der Bar aus in die Kühlzelle. Es ist jetzt in etwa fünf Uhr und der Club platzt aus allen Nähten. Ich greife nach den Flaschen und mache mich auf den Weg in die Massen. Kaum verlasse ich den Personalraum, stehe ich inmitten der Mengen. Eine homogene Masse.  Alle Augen und Ohren auf Robag Whrume gerichtet. Man kann spüren, wie der Beat die Leute antreibt. Die Luft wird immer wärmer und feuchter. Mit zwei Flaschen Sake in der Hand tanze ich mich durch die Leute. Voranzukommen ist sehr schwer. Körper an Körper schwinge ich mit. Diese 20 Meter waren noch nie so lang wie heute.

An der Tür zum Backstage angekommen, gebe ich den Tür-PIN ein. Klack, grünes Licht. Ich bin sehr froh, dass hier auch das Personalklo ist. Auf der gegenüberliegenden Seite befinden sich die Toiletten für die Gäste. Unisex. Eine ewige Schlange. Wie es in Techno-Clubs nun einmal so ist, werden auch bei uns natürlich jede Menge Drogen konsumiert. Ich muss allerdings erstmal Robag Whrume mit seinen Getränken versorgen. Ich gehe zu ihm ans DJ- Pult und stelle seine zwei Flaschen ab. Er bekommt es gar nicht mit. Seine Augen in die Menge gerichtet. Im Takt bewegt er sich energisch von links nach rechts. Die Schweißperlen tropfen nur so von seiner Stirn. Das T-Shirt wahrscheinlich schon lange so nass. Ich halte kurz inne und sauge die Energie der Masse auf.

3,4-Methylendioxy-N-methylamphetamin

Zurück an der Bar klingelt mal wieder die Glocke. Persoschnaps. Das wurde aber auch Zeit.  Wild tanzt ein Gast vor der Bar. Er fällt uns beim Schnapstrinken sofort auf. Ein Mann, in etwa 27 Jahre alt, Glatze, akkurate Augenbrauen und Bart. Sein Gesicht ist geschmückt mit diversen Piercings. Seine Kleidung – quasi nicht vorhanden. Er trägt eine kurze schwarze Latexhose und als Oberteil ein paar Lederriemen, die sehr an eine S&M-Ausrüstung erinnern. Sein nackter Oberkörper glänzt im stroboskopisch wechselnden Licht des Clubs. Seine Pupillen lassen kaum Platz für den Rest seiner Augen. Der markante Kiefer seines, auch sonst sehr hagerem, Gesichts bewegt sich unkontrolliert. Hier ist wohl die Droge MDMA im Spiel.

Wahrscheinlich möchte er nur etwas Alkoholfreies bestellen. In dem Moment, in dem er mich wirklich wahrnimmt, werden seine Augen immer größer, ebenso wie sein Lächeln. „Heeeeey, sag mal könntest du mir bitte einen Mango-Saft geben und dazu vielleicht einfach eine Hand voll Eiswürfel? Das wäre sooo lieb von dir.“ Eine Bestellung, wie ich sie erwartet habe. Zumindest von einem Drogen konsumierendem Gast. Von Alkohol-Konsumierenden sollte man so etwas gar nicht erst verlangen. Ich gebe ihm also seinen Saft und eine Hand voll Eiswürfel, die er direkt nutzt, um sich abzukühlen. Er bedankt sich noch tausende Male bei mir. Kaum habe ich mich umgedreht, um das Geld in die Kasse zu tun, sowie das äußerst freundliche Trinkgeld, ist er verschwunden. Zurück in die Masse. Dorthin, wo er sich wohl fühlt.

Tatsächlich bin ich sehr froh, in einem Technoclub zu arbeiten, mit genau diesen Leuten. Denn diese Wände bieten von Freitag bis Sonntag vielen Leuten einen sicheren Ort, um sich, ohne Interventionen von größeren Instanzen, zu befreien. Nirgends habe ich solchen gegenseitigen Respekt, Toleranz und Rücksichtnahme so erfahren dürfen, wie in der Techno-Szene und natürlich in unserem Club. Es gibt keine Vorurteile. Es gibt keinen Sexismus. Es gibt nicht diese Fleischeslust, wie man sie aus anderen Clubs kennt. Wer hier nackt sein will, kann es tun, ohne dabei befürchten zu müssen, dumm angemacht oder angeschaut zu werden. Wer hier Drogen konsumieren will, soll es tun. Wer utopische Gespräche führen will, bis die Sonne aufgeht, kann es hier tun. Denn alle haben die gleiche Absicht. Abstand nehmen von der Realität und in einer Illusion leben. Sich in einem Raum bewegen, dessen Werte die Grundwerte für unser aller Zusammenleben sein könnten.

So komisch es auch klingen mag, habe ich das Gefühl, dass die Drogen dieses Phänomen zu einem bestimmten Punkt auch prägen. Ich habe bereits auf vielen Festivals gearbeitet, das Schlimmste davon war Rock am Ring 2018. Nur Besoffene. Kein Anstand. Keine Beherrschung. Securities im Dauereinsatz. Doch nicht nur auf Festivals ist es so. Auch in Clubs, in denen überwiegend Alkohol konsumiert wird. Geschichten von Mädchen, die im Akkord angemacht werden, kennt vermutlich jeder.

Unser Türsteher Matze kommt zu mir an die Bar, weil ihm langweilig ist. Ich frage ihn, wie der Abend denn so sei. Seine Antwort, wie immer: „Ach ganz entspannt, nicht viel zu tun.“ Es gäbe nur eine Ausnahme. Eine Person sei dehydriert. Die habe er mit Obst und ausreichend Wasser versorgt. Danach ging es weiter.

Jetzt hilft auch keine Mate mehr

Es ist 9:30 Uhr. Die Beine sind schwer, die Musik wird gefühlt immer lauter. Der körperliche Tiefpunkt eines jeden Abends ist erreicht. Jetzt hilft auch die vierte Flasche Mate nicht mehr. Bestellungen aufzunehmen, wird immer schwieriger. Die Stimmen verschwimmen mit der Musik. Jedes Wort, das ich einem Gast entgegenbringen muss, ist mit sehr viel Kraftaufwand verbunden. Seit gut sieben Stunden schreie ich schon Leute an. Die stickige und mit Rauch durchflutete Luft macht es nicht leichter. Ich schnappe mir einen leeren Kasten und beginne, Leergut im Club und im Hof zu sammeln. Noch ein Kasten. Noch ein Kasten. Noch ein Kasten. Die Bar ist verdeckt von leeren Flaschen und Gläsern.

Der wahrscheinlich anstrengendste Teil der Nacht kommt jetzt. Abwaschen und Einsortieren. Wie am Fließband werden die Flaschen geleert und sortiert. Gläser rechts neben der Spüle gelagert. Immer zwei nehmen, da geht es schneller. Im ersten Bad kurz mit Reinigungsmittel füllen, entleeren, an den Bürsten ein paar Mal beherzt auf und ab. Danach durch das Klarwasser, bis kein Schaum mehr vorhanden ist und auf die Abtropfmatte stellen. Eine halbe Stunde lang. Diese stumpfe Aufgabe raubt die restliche Kraft. Die Anderen räumen in der Zeit die Bar zurück. Schnapsflaschen verschließen. Filler mit dem Datum der Öffnung beschriften. Gläser in die Schränke räumen. Restliches Obst verschenken. Arbeitsflächen putzen. Fronten der Schübe putzen. Die Kassen soweit schließen, dass nur noch Pfand herausgegeben wird.

Zehn Uhr und das Licht geht endlich an. Es ist immer noch erschreckend voll. Das grelle Licht scheint keinen zu stören. Robag Whrume spielt das Outro seines mittlerweile elf Stunden langen Sets. Unglaublich dieser Mann. Die Gäste, deren Augenringe ein gemeinsames Erkennungsmerkmal zu sein schein, realisieren, dass der Abend jetzt vorbei ist. Applaus bricht aus. Schrille Pfiffe durchbrechen die Nebelwaden. Ein letzter Drop. Feierabend.

Jetzt, wo alle Gäste raus und nur noch wir und Robag Whrume da sind, ist große Erleichterung im Raum zu verspüren. Der Abend ist geschafft. Wir trinken noch einen Sekt gemeinsam, rauchen noch die ein oder andere Zigarette, bevor es für jeden nach Hause geht. Ich schlüpfe schnell in meine Rennradschuhe, bevor wir nach draußen gehen. Türme voll Leergut füllen unseren Personalraum. An der Tür angekommen, schnappe ich mein Rad und schiebe es raus. Zwei junge Leute mit Sonnenbrillen kommen vom benachbarten Club an und fragen, ob es bei uns noch weitergeht. Wir schicken sie weg. Denn jetzt ist Feierabend, zumindest für heute. Nächstes Wochenende geht es unverändert weiter. Ich freue mich darauf.

Text: Anonym, Titelbild und Bild: Benjamin Agsten

<h3>Alexander Grau</h3>

Alexander Grau

geb. 1997 in Leipzig, studiert Medienmanagement im fünften Semester in der Vertiefungsrichtung Journalismus. Bei medienMITTWEIDA ist er als Redakteur und Lektor tätig.