George Ezra: Staying at Tamara's

George Ezra: Staying at Tamara’s

von | 2. Juni 2019

Ezras harmonische Klangteppiche charakterisieren sein zweites Album. Er zeigt aber auch eine andere Seite.

„Don’t we all need love? The answer is easy”

George Ezra: Staying at Tamara’s

von | 2. Juni 2019

Wer seine raue Stimme hört, glaubt nur schwer, dass er erst 25 Jahre alt ist: George Ezra. Foto: Phil Smithies (Pressematerial)

George Ezra lässt sich schwer in ein Schema pressen. Weder musikalisch, noch persönlich. Trotzdem wird seine markante Stimme weltweit gefeiert. Hits wie Paradise, Don’t Matter Now und Shotgun zeigen den optimistischen, positiven Ezra.  Dabei sind es gerade die ruhigen, vokal sehr harmonischen Songs, die diese Platte so außergewöhnlich machen.

Große Fenster mit bunter Aussicht hängen als Kulisse an der Bühne, eine Pflanze steht am Schlagzeug, ein Grammophon beim Keyboarder. Die Band steht bereit – und dann betritt er die Bühne: George Ezra. Kein Nebel, kein Konfetti, kein hyperaktives Gewinke, kein „Hello, Leipzig”-Geschrei. Mit seiner E-Gitarre in der Hand legt er einfach los. Der 25-jährige schlanke Mann, mit seiner dunkelblauen Anzughose und dazu passendem Hemd, braucht keine Show. Ihm genügen seine Gitarren und die raue Stimme, die eher nach Straßenkind und korpulenten Soulsänger klingt, als nach Lehrersohn und blonder Seitenscheitel-Frisur.

George Ezra kreiert für die fast ausverkaufte Arena in Leipzig eine Wohlfühlatmosphäre und schafft es, das entspannte, positive Gefühl des Albums auch auf seinen Live-Auftritt zu übertragen. Dabei ist Staying At Tamara’s in einer Zeit entstanden, in dem es ihm wirklich nicht gut ging. Nach dem Mega-Erfolg mit seinem Debütalbum Wanted On Voyage und der Hit-Single Budapest 2014  kam das große Loch – und dazu noch ein schwieriges politisches Jahr. „Ich denke, die Platte ist so geworden, weil alles, was in 2016 passieren konnte, passiert ist. Es war eine verrückte Zeit. Zum ersten Mal seit zwei bis drei Jahren war ich nicht auf Tour, sondern zu Hause und bekam 24 Stunden am Tag Nachrichten-Meldungen auf mein Handy“, erzählt er in einem Interview mit laut.de.

George Ezra im Portrait

George Ezra Barnett wurde 1993 in der britischen Kleinstadt Hertford geboren. Seine beiden Eltern sind Lehrer, seine große Schwester begleitet ihn auf Tour, sein kleiner Bruder Ten Tonnes ist selbst Musiker und war auch schon Support auf Ezras Tour durch Europa 2018. Der 25-Jährige hatte eine behütete Kindheit. Mit 17 Jahren beginnt er ein Songwriting-Studium am Institute of Modern Music in Bristol, das er ein Jahr später schmeißt, weil er einen Plattenvertrag bei seinem heutigen Label Columbia angeboten bekommt. 2013 veröffentlicht er seine erste EP Did You Hear The Rain mit der ersten Hit-Single Budapest, die sich über ein knappes Jahr in den deutschen Charts hielt und in Großbritannien Dreifachplatin bekam. Das folgende Album Wanted On Voyage (2014) mit den Hits Budapest, Blame It On Me und Barcelona war nach Ed Sheeran und Sam Smith das meistverkaufteste Album des Jahres 2014. Ezra spielte neben Welttournee unter anderem Support für Hozier und Sam Smith und interviewt in seinem eigenen Podcast Musiklegenden wie Sir Tom Jones, Elton John und Ed Sheeran. Musikalisch geprägt hat ihn vor allem Bob Dylan. Bisher hat Ezra 61 Mal Platin, 20 Mal Gold und viermal Silber und gewann 2019 unter anderem einen BRIT Award sowie eine Goldene Kamera.

 Auch live kreiert der junge Brite eine absolute Wohlfühlatmosphäre. Foto: Adam Scarborough (Pressematerial)

Elf von zirka 50 Songs schafften es aufs Album

Das wurde ihm zu viel. „Ich hatte das Gefühl, alles wird mir zu heftig. Also habe ich mich auf mein Songwriting verlassen. Ich habe erst versucht, zu Hause Songs zu schreiben, aber es war schwer für mich, Realität und Popsongs zu mischen”, erinnert sich Ezra weiter. Deshalb musste er ausbrechen, raus aus dem chaotischen London, wo er mit seiner Freundin lebt.

Für sein erstes Album machte er eine Reise quer durch Europa mit einem Zugticket. Für Album zwei sollte es auch in die ganze Welt hinausgehen. Letztendlich landete der 25-Jährige in Barcelona, bei einer für ihn vorher völlig Unbekannten – Tamara, die Namensgeberin des Albums. Sie ist selbst Künstlerin, lebt in einem Mehrfamilienhaus mit anderen kreativen Köpfen. Einen Monat lang beobachtete er die Umgebung und machte sich Notizen. Zurück zu Hause entstanden dann fünfzig Songs. Elf davon schafften es auf das Album – das ursprünglich ohne die Singles Shotgun und Hold My Girl geplant war. Die beiden Songs wurden nachgezogen – und brachten den endgültigen Durchbruch (Shotgun: Dreifach-Platin und Platz eins in der UK, über drei Millionen mal verkauft). Den Ruf des One-Hit- bzw. One-Album-Wonders hat Ezra nun endgültig abgelegt.

Fünf der elf Songs – was für eine Quote! – haben es in die Radios der Welt geschafft: Don’t Matter Now (2017), Paradise (2018), Shotgun (2018), Hold My Girl (2018), und im März 2019 Pretty Shining People. In der letztgenannten, aktuellen Singleauskopplung zeigt sich die komplette Bandbreite Ezras: Von Klangteppichen mit Akustikgitarre und Piano über bluesartige Vokalharmonien bis hin zu vollem Bläsereinsatz.

Tracklist: Stayin at Tamara's

Albumcover: (c) COLUMBIA 

  1. Pretty Shining People
  2. Don’t Matter Now
  3. Get Away
  4. Shotgun
  5. Paradise
  6. All My Love
  7. Sugarcoat
  8. Hold My Girl
  9. Saviour (ft. First Aid Kit)
  10. Only A Human
  11. The Beautiful Dream

Raus aus dem Alltag, rein ins Leben

Ezras Musik variiert vor allem genretechnisch stark und lässt sich somit schwer in eine Schublade stecken, aber es gibt andere Wiedererkennungsmerkmale: Da wäre zunächst seine raue Stimme, bei der man sich jedes Mal fragt, wo er sie hernimmt. Er sagt dazu bei laut.de:  „Als Kind hatte ich nie richtigen Gesangsunterricht. Die Stimme kam einfach irgendwann so.” Zudem entsteht beim Hören das Gefühl, mit ihm am Lagerfeuer einen entspannten Abend zu verbringen und übers Leben zu reden. Und nicht zuletzt seine Storyline, die sich durchs Album zieht. Dies ist eines seiner Erfolgsrezepte, wie er weiter verrät: „Wenn du ein Album aufnimmst und veröffentlichst, dreht sich alles darum, dass es als Ganzes funktioniert und fließt. Die Tracklist muss eine Art Storyline besitzen.”

Und der rote Faden seines Albums funktioniert. Am Anfang stehen Songs über sich, seine Mitmenschen und der klare Aufruf, dem Alltag zu entfliehen und zu lieben: „Don’t we all need love? The answer is easy”, singt er etwa im ersten Song. Pretty Shining People, der den Hörer auch sofort abholt, indem er den einerseits nachdenklichen, aber auch schnellen Alltag in ein positives, rhythmisches Licht rückt. Der Songtitel ist in diesem Fall selbsterklärend, die Lyrics ein schönes Spiegelbild der heutigen Zeit: „What a terrible time to be alive. If you’re prone to overthinking.” Ezra versteht es, seinen Text mit entsprechender Instrumentenauswahl so zu unterlegen, dass die Musik pompös wird, wenn sie pompös sein soll und melancholisch klingt, wenn sie es klingen muss.

Wer seine raue Stimme hört, glaubt nur schwer, dass er erst 25 Jahre alt ist: George Ezra. Foto: Adam Scarborough (Pressematerial)

Höhepunkt abseits der kommerziellen Hits

In Don’t Matter Now, seiner ersten Single-Auskopplung, schreibt er über seine Angstzustände in der Zeit vor der Albumveröffentlichung. Ein Thema, das er nicht verschweigt und sowohl im Song, als auch auf Konzerten wie in Leipzig anspricht. Damit ruft er dazu auf, seine Unperfektheiten anzunehmen.

Und wer da nach dem poppigen Countrysong Shotgun noch nicht in guter Stimmung ist, ist es spätestens im Track danach: Paradise – eine Liebeshymne, die ihresgleichen sucht und den ersten Storypunkt des Albums darstellt. Von guter Laune zur Lovestory könnte jetzt das Motto sein. Danach wird es deutlich ruhiger. Mehr akustische Instrumente, mehr Chöre im Hintergrund – vor allem der weiblich Gesang überzeugt hier. Romantik kann schnell in Kitsch abgleiten. Doch Ezra schafft es durch viele Wiederholungen, dass die Lyrics, wie bei Sugarcoat, eher eingängig als kitschig wirken und man ihm seine Musik abnimmt. Das könnte auch am persönlichen Bezug liegen: „Meine Freundin steckt definitiv in vielen dieser Songs, unsere Beziehung bildet sozusagen den Rahmen”, sagt Ezra im Kulturselektor.

Der Höhepunkt, abseits der kommerziellen Superhits, ist jetzt bei Hold My Girl erreicht. Das Akustikgitarren-Intro erzeugt eine Klangumgebung, die melodisch absolut zum Fallenlassen und Wohlfühlen einlädt. Der ehrliche Text tut sein Übriges. Endlich hört man den George Ezra raus, der auf Konzerten so entspannt spricht, dass er nach jedem Satz eine Pause macht und gleichzeitig positiv verrückt wirkt, was sich auch in seinen Musikvideos widerspiegelt.

Zum nächsten Song Saviour etwa sollte der Brite auf Wunsch seines Labels eines von drei Lyrics-Videos veröffentlichen. Was ist also seine Idee? Karaoke singen und bei jedem Song betrunkener werden. Die Krawatte wird gelockert, immer lustiger getanzt und ein überraschter Blick so echt, dass man denken könnte, er habe den Text zum ersten Mal gesehen. Saviour ist nicht nur der „Besäufnis”-Gipfel einer Karaoke-Trilogie, sondern auch der Gipfel des gesamten Albums. Und das liegt nicht zuletzt an der wiederholt melodisch und harmonischen Zweitstimme, diesmal perfekt, fast schon gospelartig, gesungen von dem schwedischen Indie-Schwesternduo First Aid Kit.

Mit dem schwedischen Folk-Geschwisterduo und Labelkolleginnen entstand der harmonische Song Saviour. Video: YouTube/George Ezra

Rein inhaltlich ist hier die Lovestory der letzten Tracks zu Ende („All of me is all for you. And what I’ve got to give is not enough. It’s a dark night”).  Aber George Ezra wäre nicht George Ezra, wenn das Album nicht positiv und verträumt enden würde: The Beautiful Dream und das Versprechen, wohl an seine Freundin, da zu sein, wenn sie aufwacht. Die letzten Zeilen seines Albums lassen einen in eine andere Welt abtauchen. Eine Welt von Freundschaft, Liebe, Bier, Sommer und Ruhe mit einer Spur Verrücktheit – Barcelona eben. Und zu hundert Prozent George Ezra.

Text: Annika Braun, Fotos: Adam Scarborough und Phil Smithies (Pressematerial), Albumcover: (c) COLUMBIA

<h3>Annika Braun</h3>

Annika Braun

studiert Medienmanagement an der Hochschule Mittweida in der Vertiefung Journalismus und ist 21 Jahre alt. Als Chefredakteurin bei medienMITTWEIDA ist sie in diesem Semester für die inhaltliche Leitung der Redaktion verantwortlich. Erste journalistische Erfahrungen machte Annika zwischen Abitur und Studium im Lokalradio und -redaktion in ihrer Heimat Bayern. In Mittweida ist sie derzeit noch beim Radio in der Sportsendung zu hören, außerdem hat sie mit sieben Kommilitonen ein Journalismus-Startup gegründet, das Nachrichten für soziale Netzwerke aufbereitet.